Kurzkritik:Pulsierende Großstadt

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Die BR-Symphoniker unter Daniel Harding in der Philharmonie

Von Klaus Kalchschmid, München

Die Suite aus Béla Bartóks wilder, erotisch aufgeladener Tanzpantomime "Der wunderbare Mandarin" war als Finale für das Konzert des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks geplant, das Mariss Jansons in der Philharmonie am Gasteig hätte dirigieren sollen. Er musste es - wie alle anderen Konzerte einschließlich August - aus gesundheitlichen Gründen abgeben. Daniel Harding sprang in München ein und stellte Bartók an den Anfang, beließ das Ravel-Klavierkonzert in der Mitte, bot am Ende aber statt Debussy ebenfalls Musik für eine imaginäre Szene aus "Roméo et Juliette", der "Symphonie dramatique" von Hector Berlioz. Die vier Orchestersätze schildern Kernszenen vom traurigen Romeo während eines glanzvollen Festes der Capulets über die Hochzeitsnacht und das ironische Couplet der Königin Mab als Scherzo bis zum Tod der beiden Liebenden in Verzweiflung.

Im "Mandarin" widersteht ein leidenschaftlicher Liebhaber dank der Kraft seiner Liebessehnsucht allen Mordversuchen von Räubern bis er schließlich, als das Mädchen seinem Drängen nachgibt, an seinen Wunden verblutet. Bartók findet dafür am Ende des ersten Weltkriegs brutale, rhythmisch pulsierende Großstadtklänge ebenso wie düster Brütendes und harmonisch faszinierend Fremdartiges, das an seine "Blaubart"-Oper erinnert und am Ende in eine wilde Jagd gesteigert wird wie in Strawinskys "Sacre". Harding schärfte das musikalische Geschehen ungemein, ließ es neonfarbig blinken und glitzern, aber auch zwischendurch ordentlich krachen.

Ganz anders entfalteten die hellwach und traumschön aufspielenden BR-Symphoniker die Berlioz'schen Shakespeare-Liebeswelten, obwohl auch hier die Höhepunkte von Festglanz und Aufbäumen vor dem Tod dynamisch ausgekostet wurden. Höhepunkt war dennoch die Brautnacht: Schöner und ergreifender kann man die "Scène d'amour" nicht spielen, dass sie wie eine imaginäre Ballett-Musik zu schweben schien. Dazwischen funkelte Maurice Ravels G-Dur-Klavierkonzert mit seinen feinen, launigen Jazz-Allusionen wie ein kleiner Diamant. Denn auch hier widerstand Harding der Versuchung, allzu feinsinnig musizieren zu lassen, sondern setzte erneut auf Leuchtkraft, plastischen Klang und ein kammermusikalisches Miteinander, bei dem Jean-Yves Thibaudet am Flügel im Zentrum stand. Er garantierte ein Höchstmaß an pianistischer Verve und Eleganz, das ihn weit mehr als einen primus inter pares sein ließ.

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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