Kurzkritik:Jazz mit Anlauf

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Bass-Veteran Ron Carter und sein Quartett im Bayerischen Hof

Von Oliver Hochkeppel, München

Es war ein merkwürdiger Auftritt, den der Bass-Veteran und -Weltmeister (nach Zahl der Einspielungen) Ron Carter mit seinem neuen Quartett im Nightclub des Bayerischen Hofes hinlegte, wo er früher schon so manche Sternstunde hingezaubert hat. Erstaunlich war schon einmal, das so eine routinierte Band noch beim fünften von acht Konzerten ihrer kleinen Europa-Tournee einige Zeit brauchte, bis sie sich ein- und warmgespielt hatte. Nicht minder bemerkenswert, wie bedingungslos sich so vielseitig profilierte Begleiter wie die Pianistin Renee Rosnes und der Saxofonist Jimmy Greene von Carters über Standards wie "You And The Night And The Music" oder "My Funny Valentine" gestülptem, rigide traditionellem Bebop-Konzept einhegen ließen.

Rosnes hat zum Beispiel als Tastenfrau des SF Jazz Collective schon ganz andere Sachen gespielt als brave Blockakkord-Begleitung und Single-Note-Soli. Und auch Greene hat, zumal bei der Verarbeitung seines tragischen Schicksalsschlages (seine sechsjährige Tochter wurde 2012 bei einem Amoklauf erschossen) schon weit mehr Dynamik und Expression gezeigt. Vor allem Emotionen fehlten einem, alles war grundsolide, aber eben auch ein wenig steif, klang nach einem etwas überkommener Anzug-mit-Krawatte-Jazz. Was auch dadurch nicht besser wurde, dass es der in Timing, Klangfarben und Wärme nach wie vor makellose Carter bei der generell von ihm vernachlässigten Intonation noch weniger genau nahm als sonst.

Aber siehe da, im zweiten 70-Minuten-Set nach der Pause zog der 82-Jährige die Stücke dann nahtlos ineinander, wodurch die Band hörbar Fahrt aufnahm. Die Soli wurden frecher, der Bass noch prägnanter, das Old-School-Schlagzeug von Payton Crossley noch präziser. Alles war lockerer, bis hin zu Ron Carters finalem Gag: "See you next week". So war's am Ende wie im Film "Eine Nacht im Museum": Die Motive und Figuren eines bereits leicht angestaubtem Jazz erwachten vorübergehend zu neuem Leben.

© SZ vom 21.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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