Kurzkritik:Gipfel der Gefühle

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Burt Bacharach in der Philharmonie

Von Michael Zirnstein, München

Was soll da noch kommen? Nachdem Burt Bacharach unter Maestro-Begrüßungsapplaus in Sneakers zum Flügel geschlendert ist, mit "What the world needs now is love sweet love" das Motto vorgeben hat und in einem Medley von "Don't make me over" über "Walk on by" bis "I say a little prayer" gleich sieben weitere Welthits sich hat verflüchtigen lassen? Nun, der Komponist und Pianist aus Kansas hat in 91 Jahren reichlich Beglückungsmaterial gedrechselt. 35 Nummern, kaum eine unbekannt, wird er sich in zwei Stunden (ohne Pause) aus dem Sakkoärmel schütteln.

Der "King of Easy" unterhält auch mit Anekdoten. Er habe schon einmal in München gespielt, erzählt er. In den Sechzigern, als er Marlene Dietrich mit Richard-Tauber-Liedern begleitete. "Dank ihr habe ich die Welt gesehen, auch wenn die Musik nicht so toll war", sagt er und grinst. Er spürt, was ankommt. Als Heilpraktiker unter den Musikmedizinmännern macht er Leiden leicht mit Songplacebos als Stimmungsaufheller. Erst einkuscheln in ein seidiges Soundbett (mit etwas zu viel Synthesizer-Weichspüler), den Liebeskummer rausheulen ("On my own"), dann - "Stronger than before" - raus an die kalifornische Luft: "Make it easy on yourself".

So leicht ist's aber nicht: Bacharach mag der Kitsch-König sein. Aber er stichelt auch gegen Trump und Musikindustrie, beklagt mit einem neuen Stück, dass Schüler in den USA nicht Mathe lernen, sondern sich bei Amokläufen korrekt zu verhalten. Alles hochemotional aufgebauscht von einer tipp-topp Zehnmannband, in der ein gesichtsdynamisches Gesangstrio für Aretha Franklin oder Dionne Warwick einspringt. Am Ende zeigt der sanfte Riese, dass er nicht nur Songs auftürmen kann, sondern auch Konzerte: Zum Gefühlsgipfel singt er selbst mit letztem Hauch das lebenskluge "Alfie" und setzt bei "Raindrops keep falling on my head" sein mächtigstes Instrument ein: den Chor der Fans, die in aller Welt sein Werk trällern. "Wer den Text nicht kann, singt la-la-la", rät er, das Wichtigste sei die Melodie.

© SZ vom 11.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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