Kurzkritik:Für Chemnitz

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Der "Kraftklub"-Sänger Felix Kummer auf Solotour

Von Stefan Sommer, München

In der Neonröhrensiedlung brennt Licht. Als spaziere Felix Kummer durch den Innenhof zwischen Chemnitzer Sozialbauten, hat man für seine Show im Freiheiz hohe, kastenförmige Strahler auf der Bühne hochgezogen. Zwischen Tobsucht und Trübsinn erzählt er Schauergeschichten aus Ostdeutschland. In einer Bomberjacke rappt er: "Westpoint-Zigarillos, schlechte Haut, Chemnitz-City-Swag, alles sieht irgendwie traurig aus!". Am Ende des Songs gehen in den LED-Bunkern schlagartig alle Lichter an, als hätte jemand den Feueralarm ausgelöst.

"9010" ist die erste Solosingle des Kraftklub-Sängers, veröffentlicht unter seinem bürgerlichen Namen: Felix Kummer. Es ist die ehemalige Postleitzahl Karl-Marx-Stadts, des heutigen Chemnitz. Auf einen düsteren Beat des Berliner Produzenten BLVTH schildert er eine Begegnung mit einem rechten Schläger, der ihm das Leben als Teenager schwer macht. Das Lied folgt der Lebensgeschichte eines Wendeverlierers, für den der Mauerfall nicht der prophezeite Beginn von Wohlstand ist. Kummer verzichtet darin auf pathetisches Nazi-Bashing: Der Titeltrack seines Debütalbums "Kiox" ist eine feinfühlige Auseinandersetzung mit einem von allen guten Geistern verlassenen Mann, der vom Weg abgekommen ist. "9010" ist eine von vielen schlauen, aber deprimierenden Beobachtungen, die der herausragende Live-Performer über seine Heimat zu erzählen hat.

Kummer hat sich zum politischen Aktivisten entwickelt, zu einer zweifelnden, sensiblen Antithese zu selbstgewissen DDR-Erklärern. Ganz allein auf der Bühne zwischen den Neonröhrenbunkern, ist er einer, der mit Mut und Verstand für eine Sache kämpft, ohne den Zeigefinger zu heben. Zeilen wie "Born to be Opfer, Zeit zu kapier'n, dass da, wo wir leben, Leute wie wir eben einfach kassieren", könnten kaum aktueller sein. Trotzdem wählt er nicht den leichten Ausweg und flüchtet ins nahe, liberale Berlin. Kummer bleibt in Chemnitz. Wie seine Eltern, die seit Anfang der Neunzigerjahre als Künstler und Kulturveranstalter gegen den Rechtsruck einstehen, tut das auch ihr Sohn. Er reiht sich ein in die Familiengeschichte. Die Leuchten des Bühnenbilds dienten einst als Deckenlampen im Plattenladen "Kiox", den Vater Jan Kummer führte und den der Sohn 2019 für seine Album-Veröffentlichung wiederauferstehen ließ.

© SZ vom 30.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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