Kurzkritik:Derb hingewalzt

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Showtime? Nein, Ana Isabel Casquilho und Gustavo Barros in der eklektischen Augsburger "Giselle". (Foto: Jan-Pieter Fuhr)

Ricardo Fernando vergeigt die "Giselle" in Augsburg

Von Eva-Elisabeth Fischer, Augsburg

Ah, "Giselle"! Man sieht es immer wieder gern, das romantische Ballett schlechthin um das betrogene Landmädchen, das über der Untreue des Herzogs Albrecht, den sie liebt, wahnsinnig wird. Diese Szene, in der sie sich am Ende erdolcht und die einem, gut getanzt, jedes Mal den Atem nimmt, leitet über zum traumschönen weißen Akt der Wilis. Das sind betrogene Mädchen, die als untote Geister auf mondbeschienener Waldlichtung vor ihren eigenen Gräbern tanzen in Erwartung ihrer todgeweihten, treulosen Geliebten.

Der Schwede Mats Ek steckte 1982 in seiner ebenso berühmten wie berührenden Version eine geistig zurückgebliebene Giselle ins Irrenhaus unter der Fuchtel einer brutalen Nonne. Augsburgs Ballettchef Ricardo Fernando greift in seiner "Giselle" im Martini Park Elemente auf aus beiden Versionen, der klassischen wie der modernen, und setzt, weil's grad passt, noch ein politisch korrektes Statement oben drauf: Nicht Giselle verliert hier den Verstand, sondern die Männer spinnen, zum einen Hilarion, ihr eifersüchtiger Verlobter, der sich auf den Rivalen Albrecht stürzt, wobei Giselle ziemlich nebenher, quasi aus Versehen zu Tode kommt. Fernando also opfert Giselles Wahnsinnstanz und vergeigt damit das hochdramatische Herzstück des an sich herbstlich-heiteren ersten Akts zur Zeit der Weinlese. Fernandos Winzerfest wird von grobschlächtigen Bauern und ebensolchen Mädchen in sommerlichem Kaufhauslook bevölkert.

Weiter geht's auf bläulicher Lichtung, wo Gestalten in schweren Tüllröcken und Schläppchen über die Bühne kreiseln. Unter den Wilis finden sich - Zugeständnis an die Quote? - auch Männer. Giselle (Ana Isabel Casquilho) jedenfalls rettet ihren Albrecht, den fabelhaften Gustavo Barros, indem sie horizontal wie ein Weihnachtsengel über ihm schwebt. Immerhin finden jetzt die Augsburger Philharmoniker unter Ivan Demidov in ihrer, auch der Raumakustik geschuldeten, meist deftigen Klangattacke zu zarteren Tönen. Doch Adolphe Adams leichtfüßige Melodien klingen leider oft so derb hingewalzt wie die Bauern tanzen.

© SZ vom 29.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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