Kurzkritik:Copy und paste

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Moritz Ostruschnjaks "Autoplay" im Schwere Reiter uraufgeführt

Von Eva-Elisabeth Fischer, München

Dieser Abend macht mächtig Spaß. Egal, ob die drei Tänzer und die eine Tänzerin eines ihrer schweißtreibenden Soli bestreiten, selbviert in einer Diagonale den fast leeren Raum durchschneiden und dabei die abstrusesten Grimassen schneiden. Annamaria Ajmone, Daniel Conant, Cristian Cucco und Antoine Roux-Briffaud agieren mit eisernem Durchhaltevermögen die 70 Minuten eines Stückes, dessen Titel den Selbstläufer suggeriert: "Autoplay". Man könnte also denken, was hier getanzt wird, tanzt sich auf Knopfdruck automatisch und von selbst. Nun wäre Moritz Ostruschnjak aber nicht Moritz Ostruschnjak, inszenierte er einfach ein Stück nach dem Muster sogenannter Formatprogramme. "Autoplay" liest sich wie eine Bilanz seines eigenen Tuns und weist dabei gleichzeitig über sich selbst hinaus und zurück in die Geschichte des Tanzes, stets eingebettet ins aktuelle Zeitgeschehen. Und das alles mit leisem, federleichtem Witz.

Auf der rückwärtigen Leinwand wechseln irgendwann die lichtzuckenden Begriffe: "Hype", "Hate". Auf den Monitoren rechts und links laufen Fernsehbilder. Der Tänzer Antoine Roux-Briffaud macht den Anfang, die anderen folgen in dem, was ihnen Ostruschnjak zusammen mit Daniela Bendini aus Bruchstücken zu zitatreichen Variationen als "Bastard-Pop aus 1000 Diebstählen" aufgegeben hat. Ostruschnjak lässt seine eigene Vergangenheit als Sprayer und Breakdancer, als hyperreflektierter Mann der Straßenkunst und Konsumverweigerer einfließen. Mit 37 steht das wohl, wie man so schön sagt, auf der Agenda. Er klaubt Splitter im Internet auf und verbindet sie tänzerisch wie optisch zu einem organisch fließenden Ganzen, sich dabei der Medienmaschinerie des 21. Jahrhunderts bedienend. All das wiederum erzählt von der täglichen Praxis eines jeden Choreografen, sich weitgehend aus dem riesigen Repertoire bereits vorhandener Bewegungen, Stile und Traditionen zu bedienen - "Sacre" meets Moonwalk: alles copy and paste.

Ego versus Lifestyle. Der Weg führt vom Existenziellen, von Martin Luther Kings "I have a dream", zur personifizierten KI namens Anna. Das Tänzerquartett tritt, wie wir alle, schon mal in vielerlei elaborierten Varianten auf der Stelle. Bis die Apotheose schwillt in Richard Strauss' "Zarathustra" und Wagners "Walkürenritt". Die Wiederholungsschleife, das "Autoplay" wird mitgeliefert. Großartig.

© SZ vom 16.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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