Kurzkritik:Bitterkeit und Brutalität

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Bratschist Diyang Mei spielt zupackend im Gasteig

Von Barbara Doll, München

Tief in sich ruhend, so steht er auf dem Podium, man könnte auch meinen: tief in sich verschlossen. Als Diyang Mei zu Alfred Schnittkes Viola-Konzert ansetzt, wird klar: Ja, er ruht in sich, emotional aber ist er höchst präsent. Wie die Stimme einer umhergeisternden Seele bahnt sich das Bratschen-Solo seinen Weg aus dem Nichts.

Der aus China stammende Musiker, 2018 mit dem ersten Preis des Internationalen ARD-Musikwettbewerbs ausgezeichnet, pflegt einen kraftvollen Ton; überhaupt ist sein Spiel handfest und zupackend. Inzwischen ist er Solo-Bratschist bei den Münchner Philharmonikern; in der Philharmonie wird er begleitet vom Symphonieorchester der Musikhochschule unter dem umsichtigen Marcus Bosch. Mei behauptet sich souverän im Orchester-Dickicht mit dem zugleich katastrophischen wie leidenschaftlich brennenden Schnittke-Klang. Im zweiten Satz, der "rastlosen Jagd durch das Leben", charakterisiert Mei die Seelenzustände präzis: von der groß ausgespielten Leidenschaft bis zum Sturz in die Bitterkeit. Schlüssige Phrasierung, Intonationssicherheit bei engster Tonreibung, glühendes Vibrato: Bei dem Bratschisten paart sich stupende Technik mit natürlicher Musikalität. Das zeigt sich besonders im dritten Satz, den er als stufenweises Abtauchen ins Innerste gestaltet und die Spannung dabei aufrechterhält - bis zur kompletten Auflösung.

Während viele Orchestermusiker mit Schnittke spürbar fremdeln, fühlen sie sich in Schostakowitschs siebter Symphonie, der "Leningrader", daheim. Im Tutti sind Bläser und Streicher sehr stark; wird es durchsichtiger, kommen Schwächen zum Vorschein. Viele Soli könnten exakter sein, selbstbewusster. In den irrsinnigen Steigerungen und Repetitionen, dem Spiegel der Invasion Leningrads, treibt Marcus Bosch das Orchester an die Intensitätsgrenze - und die Zuhörer an die Erträglichkeitsgrenze. Eine Imagination von Brutalität, der sich keiner entziehen kann. Ein Anti-Heldenepos.

© SZ vom 12.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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