Wiederentdeckung einer Künstlerin:Die Schönmalerin

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In der Kunsthalle Bielefeld sind Werke von Jacoba van Heemskerck zu sehen. Der männliche Kanon verschwieg sie, jetzt wird sie umfassend gewürdigt. Aber lohnt sich das?

Von Till Briegleb

Es hat in den vergangenen Jahren sehr viele Ausstellungsprojekte mit dem Ansatz gegeben, Künstlerinnen zu rehabilitieren, vor allem auch solche, die in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg arbeiteten, als das männliche Genie noch als Maßstab galt. Vor allem Kuratorinnen suchten in den sieben Jahrzehnten der aufkommenden Moderne intensiv nach weiblichen Persönlichkeiten, die trotz der extrem ungerechten Entwicklungschancen von Frauen zur Zeit eines fest etablierten Patriarchats bedeutende künstlerische Werke schaffen konnten. Diese rege Aufklärungstätigkeit hat Anita Rée, Lotte Laserstein oder Hilma af Klint ihren Platz in der Kunstgeschichte zurückgegeben, oder ganze Szenen wieder ins Bewusstsein gebracht, etwa die rege Vielfalt Wiener Künstlerinnen des frühen 20. Jahrhunderts, die 2019 in der Ausstellung "Stadt der Frauen" ganz neu vorgestellt werden musste, weil sie von der männlichen Kunstgeschichtsschreibung ignoriert worden war.

Dass die Lage sich nach dem Zweiten Weltkrieg auch nur sehr langsam verbesserte, das hat unter anderem die Schweizer Kuratorin Christina Végh mit ihrer Arbeit an der Kestnergesellschaft Hannover bewiesen, wo sie im Jahr 2015 die erste Frau an der Spitze des Kunstvereins in hundert Jahren wurde, und dort 2018 die feministische Künstlerinnengruppe "Guerrilla Girls" einlud, um mal die Gerechtigkeitsbilanz der berühmten Institution zu untersuchen. Ergebnis: "Solo exhibitions by women: 1916-2012: 9%, 2013-2017: 68%." Und das zeigte auch gleich einmal, welche künftige Gewichtung Christina Végh als Korrektur eines eingefahrenen Branchenverhaltens mit ihren Entscheidungen anstrebt: Gleichberechtigung von Mann und Frau, seit 1919 Grundsatz demokratischer deutscher Verfassungen, auch mal ernsthaft praktiziert.

Seit 2020 ist Végh nun Direktorin der Kunsthalle Bielefeld, wo sie die Umverteilung von Aufmerksamkeit fortsetzt, aktuell mit der Neuentdeckung der Künstlerin Jacoba van Heemskerck. Und diese Ausstellung provoziert eine skeptische Gegenfrage zur Welle der kunstgeschichtlichen Rückholaktionen: Rechtfertigt der gute Wille wirklich immer den großen Rahmen? Denn die niederländische Malerin, die zwischen 1876 und 1923 lebte und hier mit 60 Werken in aller Ausführlichkeit präsentiert wird, erfüllt zwar alle Kriterien einer erinnerungswürdigen Biografie. In einer Zeit, als Frauen weder Akademien besuchen noch ohne die Erlaubnis ihres Gatten ausstellen durften, musste sie sich als ambitionierte und offen lesbisch lebende Künstlerin durchbeißen. Sie hatte in Herwarth Waldens "Sturm"-Galerie und der dazugehörigen Bewegung großen Erfolg, wurde nach ihrem Tod aber vollständig aus den Analen dieser wilden Epoche getilgt.

Eine Handvoll Ölbilder sorgen im Zentrum der Ausstellung für Erstaunen

Aber in diesem Fall sind zumindest Zweifel erlaubt, ob das nur an männlicher Selbstbezüglichkeit im Kunstbetrieb, oder nicht doch auch ein wenig an der künstlerischen Qualität ihrer Arbeiten gelegen hat. Das hier erstmals in diesem Umfang präsentierte Gesamtwerk van Heemskercks zeigt sich nämlich thematisch und motivisch eng begrenzt, eher entwicklungsarm und nur sporadisch originell. Auch wenn der erste Eindruck zunächst ein anderer ist. Eine Handvoll Ölbilder, in denen sie mit starken Farben und mutiger Abstraktion ihr Lebensthema der Segelboote auf dem Meer in wuchtige Bildsprache packt, sorgen im Zentrum der Ausstellung tatsächlich für Staunen.

Es ist das Jahr 1915, Deutschland befindet sich im Weltkrieg an Hollands Grenzen, als van Heemskerck in ihrer Heimatstadt Den Haag Boote wie Granatsplitter, aufgereiht in militärischer Disziplin und Hintergründe in Betongrau malt, als sei Segeln eine Metapher für Krieg - dessen Sieg sie in einem Brief an ihren Galeristen Walden dem Deutschen Reich innigst wünscht. Doch dieser kurze Moment einer energetischen Inspiration, die sich im Kontakt zur explosiven Weltlage zu befinden scheint, ist gerahmt von Epigonentum und kunsthandwerklicher Verflachung. In ihrer Anfangszeit ab 1910 wiederholt sie auf der Leinwand zunächst die Stilmittel des Pointillismus aus dem letzten Jahrhundert, dann Braques kubistische Malerei recht eins zu eins.

Und nachdem sie sich zu der kurzen Phase expressiver Seemalerei mit eigener Note freigearbeitet hat, wird sie mit ihrer Lebenspartnerin Mitglied in der Anthroposophischen Gesellschaft, was einer eigenständigen künstlerischen Entwicklung bei ihr offensichtlich eher abträglich war. Im Gegensatz zu der ebenfalls spirituell von der Theosophie und Anthroposophie ergriffenen Hilma af Klint, die zur selben Zeit aus ihren "Visionen" ein überaus reiches und packendes Werk mit stark innovativem Charakter für die ungegenständliche Malerei entwickelte, aber auch im Vergleich zu den okkult glaubenden Künstlern ihrer Epoche wie Wassily Kandinsky oder Piet Mondrian, nähert sich van Heemskercks Stil anschließend dem lyrisch Dekorativen.

Der größte Teil der Werke wirkt fromm und illustrativ

Die Glasmalerei, die sie schließlich als ihr Medium entdeckt, und der in Bielefeld ein ganzer Saal gewidmet wird, ist kaum mehr als eine grobe Reaktion in plakativen Farben auf die bewegten Abstraktionen des Jugendstils. Und die stark verschlungenen "Kompositionen" aus Bäumen und Tieren sowie die "Auramalerei", mit der sie versuchte, die theosophische Vorstellung eines menschlichen Astralkörpers auf die Leinwand zu bannen, sind formal betrachtet weiche Varianten stilistischer Vorbilder, die ihr die deutschen Künstlergruppen "Brücke" und "Blauer Reiter" geliefert haben. Manche dieser Werke im Grenzbereich aus Moderne und Okkultismus zeigen zweifelsohne eine persönliche Handschrift, speziell in der pulsierenden Buntheit ihrer lebensfrohen Farbpalette. Aber der größere Teil der hier als "Kompromisslos modern" versammelten Werke aus 20 Jahren Atelierarbeit wirkt doch eher fromm und illustrativ.

Da Jacoba van Heemskercks Kunst also weder formal neue Pfade eröffnet noch inhaltlich eine eigenwillige Reflexion der konfliktreichen Jahre rund um den Ersten Weltkrieg liefert (außer man erkennt in der Verweigerung gegenüber den bedrohlichen Zuständen eine solche), erscheint der Versuch, sie mit dieser Ausstellung ins Pantheon der bedeutenden Avantgardistinnen zu hieven, etwas unglücklich. Zumal die Ausstellung in Bielefeld ergänzt ist mit einem umfangreichen Überblick aus der Sammlung zu den anderen Künstlerinnen und Künstlern, die mit Waldens "Sturm"-Galerie assoziiert waren. In diesem Querschnitt mit Bildern von Paul Klee, Wassily Kandinsky, Marc Chagall, Gabriele Münter, Max Ernst und anderen wären ein oder zwei der überzeugenden Werke Jacoba van Heemskercks vermutlich als überraschend aufgefallen. In der großen Häufung sich stark ähnelnder Arbeiten mit Hang zur Schönmalerei bleibt ihr Stil leider eher als One-Trick-Pony in Erinnerung.

Jacoba van Heemskerck: Kompromisslos Modern. Kunsthalle Bielefeld . Bis 5. September. Anschließend in den Museen Stade und im Edwin-Scharff-Museum, Neu-Ulm. Der Katalog kostet 29,90 Euro.

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