Selfies, Hochzeitsfotos, Schnappschüsse: Der Künstler Paolo Cirio stellt in seiner Aktion "Overexposed" private Fotos von US-Geheimdienstlern, die er im Internet gesammelt hat, in Großformat an öffentlichen Plätzen aus. Damit will er gegen die Massenüberwachung von Diensten wie der amerikanischen NSA protestierten, die durch den Whistleblower Edward Snowden bekannt wurde. Cirio hat sich zum Beispiel am Facebook-Account von Caitlin Hayden bedient, ehemalige Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates der USA. Hayden hatte diesen Posten inne, als unter anderem Spionageangriffe auf deutsche Politiker bekannt wurden. Ihr Facebook-Profilfoto zeigt sie bei ihrer Hochzeit, lachend und mit Schleier vor dem Gesicht. Ein privater Moment, den Cirio nun in die Öffentlichkeit zieht. Er sprayt Bilder wie diese mit Hilfe einer Schablone auf Poster, die er an öffentlichen Plätzen in New York, London und Berlin anbringt. Seine Botschaft: Überwachst Du mich, überwache ich dich. Wie die Geheimdienste durchforscht er das Internet nach privaten Bildern ihrer Vertreter. "Das ist eine Form von Protest, natürlich auch eine Form, sie bloßzustellen", sagt er.
Cirio lebt in New York und stellt seine Bilder am liebsten an Straßen und Plätzen aus, an denen viele Menschen vorbeikommen und sie fotografieren. "Die Leute stellen sie dann ins Internet, sie zirkulieren und die Menschen auf den Bildern werden dadurch noch exponierter." Hier im Bild ein Poster von NSA-Chef Michael Rogers, das Cirio in London ausgestellt hat. Die Fotovorlage für dieses Foto hat der Künstler auf Twitter gefunden. Ein junger Soldat schoss ein Selfie mit dem Marineoffizier, als dieser ein Basketballturnier besuchte.
Auch von Ex-NSA-Chef Keith Alexander fand Cirio ein Selfie mit einer unbekannten Frau auf Facebook. Alexander war zu der Zeit NSA-Chef, als Whistleblower Edward Snowden dessen Sammelwut auf spektakuläre Weise offenbarte. "Wir tun hier das Richtige, um die amerikanischen Bürger zu beschützen", sagte Alexander damals. Paolo Cirio will aber nicht nur diejenigen bloßstellen, die verantwortlich sind für die Massenüberwachung. "Es geht mir um die Art, wie wir alle private Bilder online zeigen", sagt er. Dass er sich nun die Hochzeitsfotos, Selfies und Schnappschüsse der Mächtigen herauspickt, soll auch zum Nachdenken anregen: "Du stellst dein Hochzeitsbild online - aber wie würdest Du dich fühlen, wenn es plötzlich in der ganzen Stadt hängen würde?"
"Wir sind alle überbelichtet, damit wir sind alle verletzlich", erklärt er den Titel seiner Aktion "Overexposed". Warum uns diese Verletzlichkeit weniger bewusst ist, wenn wir in der digitalen Welt unterwegs sind - dem Künstler ist es ein Rätsel. "Ich kann es kaum glauben, dass wir seit 20 Jahren im Internet kommunizieren und erst jetzt langsam auf die Idee kommen, dass wir unsere Kommunikation verschlüsseln müssen", sagt er. Einer, der die Tücken der Online-Kommunikation am eigenen Leib erfahren musste, ist Ex-CIA-Chef David Petraeus, hier vergrößert auf einem Schnappschuss von einer Uni-Konferenz. Der amerikanische Inlandsgeheimdienst FBI überwachte die E-Mails des Vier-Sterne-Generals und entdeckte, dass dieser eine außereheliche Affäre hatte. In der Affäre ging es nicht nur um Ehebruch, sondern auch um die Frage, ob der CIA-Chef seiner Geliebten brisantes Material weitergegeben hat. Er musste schließlich zurücktreten.
Auch von CIA-Chef John Brennan fand Paolo Cirio einen Schnappschuss von einer Konferenz auf Facebook und stellt ihn nun weltweit aus. Brennon musste im Sommer 2014 zugeben, dass seine Agenten Rechner von Mitgliedern des Geheimdienstausschusses des US-Senats ausspioniert haben. Der arbeitete damals an einem brisanten Bericht zur Folter nach 9/11, der die CIA stark belastete. "Sie müssen heute nicht mehr dein Telefon abhören, dir nicht mehr auf der Straße folgen", beschreibt Cirio die Folgen der Digitalisierung für die Arbeit der Geheimdienste und somit für alle Bürger, die sich vor Überwachung fürchten.
"Wenn die Regierung sagt: Wir brauchen Überwachung, um Kriminalität zu verhindern, dann müssen wir wenigstens ihre Methoden kennen": Diesen Schluss zieht Cirio aus seiner Beschäftigung mit der Massenüberwachung der Geheimdienste. Die Enthüllungen Edward Snowdens hätten immerhin gezeigt, dass die Dienste viel zu weit gegangen seien. "Sie haben experimentiert, in totaler Freiheit, einfach, weil sie es konnten", sagt er. Im Bild: Ein Poster von FBI-Chef James Comey in New York.
Für Cirio ist die Massenüberwachung eine Art Kriegsverbrechen. "Sie haben den Krieg direkt in unsere Taschen, unsere Smartphones gebracht", sagt er. "Sie habe natürlich niemanden getötet, aber doch Menschenrechte verletzt."
"Wir müssen eine soziale Norm dafür finden, was privat sein soll und was nicht", sagt Cirio. Eine Aufgabe, die die Bürger nicht Politik und Geheimdiensten überlassen sollten. In den vergangenen Tagen war der Künstler in Berlin unterwegs, seine Poster klebt er meistens nachts an die Wände, ohne Genehmigung. So wie hier am S-Bahnhof Frankfurter Allee, wo er ein Bild des langjährigen CIA- und NSA-Direktors Michael Hayden zeigt. Auch im Prenzlauer Berg und am Treptower Park hängen nun Poster von US-Geheimdienstlern, die Cirio gesprayt hat. Hochauflösende Reproduktionen der Social-Media-Funde stellt er außerdem noch bis 20. Juli in der Kunstgalerie Nome in Berlin-Friedrichshain aus.