Kulturpolitik:Der polnische Standpunkt

Lesezeit: 3 min

Das Danziger Museums des Zweiten Weltkrieges soll unter seinem neuen Direktor patriotischer werden. Dagegen klagt Gründungsdirektor Pawel Machcewicz.

Von Florian Hassel

Pawel Machcewicz hatte sich die Rückkehr an die Universität ruhiger vorgestellt, nachdem Polens Regierung den Historiker Anfang April als Gründungsdirektor des Danziger Museums des Zweiten Weltkrieges gefeuert hatte. Machcewicz kehrte auf seine Professur an der Akademie der Wissenschaften in Warschau zurück; im September trat er ein Forschungsstipendium am Berliner Wissenschaftskolleg an. Doch Machcewicz kommt kaum zu dieser Arbeit. In Danzig musste er beim Staatsanwalt zum Verhör antreten - Machcewicz seinerseits will in Danzig Klage wegen unerlaubter Änderungen im Weltkriegsmuseum einreichen.

Seit das Museum im März 2017 nach acht Jahren Vorbereitung eröffnet wurde, haben rund 300 000 Besucher die von Machcewicz und Kollegen konzipierte Ausstellung gesehen. Sie stellt Leiden und millionenfaches Sterben vor allem polnischer Zivilisten unter Deutschen und Sowjets ins Zentrum, behandelt aber auch den Aufstieg des Faschismus und Stalinismus oder Kriegsverbrechen auf dem Balkan. Und auch polnische Verbrechen wie das Pogrom an Juden im polnischen Jedwabne werden nicht ausgespart. Das einzigartige Konzept war Ergebnis langer Beratungen auch mit ausländischen Historikern - vom Briten Norman Davies bis zu Timothy Snyder aus den USA. Doch gerade diese Sichtweise mit ihrer Öffnung für internationale Aspekte ging Jarosław Kaczyński, Chef der nationalpopulistischen Regierungspartei "Recht und Gerechtigkeit" (Pis), gegen den Strich. Kaczyński forderte mehr "polnischen Standpunkt".

Als ersten Schritt setzte der neue Museumsdirektor einen Film ab, der womöglich zu pazifistisch war

Nach der Übernahme des Museums stellte der neue Direktor Karol Nawrocki - ein Mann ohne Museumserfahrung, doch ausgewiesener Parteimann und möglicher Pis-Kandidat als Danziger Bürgermeister - am 30. Oktober entsprechende Änderungen vor. Nun soll polnischen Helden mehr Platz eingeräumt werden: Rettern polnischer Juden, katholischen Priestern, Aufklärern und Fallschirmspringern. Generell sollen ab 2018 im Museum "die Soldaten der polnischen Streitkräfte an die erste Stelle treten", so Nawrocki. Auch das vom Verteidigungsminister 2016 gegründete "Historische Militärbüro" wird helfen, "die polnischen Kriegstaten und das Engagement an den Fronten des Zweiten Weltkrieges zu unterstreichen" und die Nawrocki erteilte Mission der Förderung von Patriotismus und Kampfbereitschaft zu erfüllen: "Wie soll der Mensch sein, der unsere Ausstellung verlässt? Ich hätte gern, dass er sich zwar bewusst ist, dass Krieg schrecklich ist, aber nicht zurückschreckt, wenn etwas unser Vaterland bedroht; jemand, der bereit ist zu kämpfen."

Als ersten Schritt setzte Direktor Nawrocki den "skandalösen" Film ab, mit dem Machcewicz und seine Kollegen den Museumsbesuchern am Ende ihres Rundgangs einen fünfminütigen Reigen von Kriegen und Konfrontationen auch nach dem Zweiten Weltkrieg bis zu den aktuellen Konflikten in Syrien und in der Ostukraine vorführten - und womöglich Pazifismus förderten. Der dagegen von Nawrocki seit dem 1. November gezeigte Animationsstreifen "Die Unbesiegten" zeigt nur noch Polen: Sie werden erst zwischen Deutschen und Sowjets aufgerieben, gewinnen aber dann den Zweiten Weltkrieg quasi im Alleingang, nur um danach von allen anderen verraten zu werden. "Es ist ein kruder Film, der primitive Propaganda verbreitet und dem gesamten Gehalt und Sinn unserer Ausstellung Hohn spricht", kommentiert Machcewicz.

Der Ex-Direktor will gegen die Änderungen im Museum klagen und wird unter Druck gesetzt

Dem Ex-Direktor zufolge "deuten die neuen Macher auch historische Fakten so um, dass Polen immer als die Nummer eins erscheint." Etwa bei Opferzahlen: "Wir haben in der Ausstellung auch die Abermillionen gefallenen Soldaten der Sowjetunion und in Deutschland aufgeführt - in Polen sind dagegen vergleichsweise wenig Soldaten gestorben. Jetzt soll eine neue Darstellung her, bei der die Zivilisten betrachtet werden, aber keine absoluten Zahlen mehr genannt werden, sondern nur noch ein Prozentsatz der Bevölkerung - damit Polen an der Opferspitze steht." Oder bei Angaben zu Partisanen im Kampf gegen die Wehrmacht: "In der Ausstellung nennen wir Schätzungen für 1944: 180 000 sowjetische Partisanen, 40 000 Partisanen der polnischen Armia Krajowa." Platz zwei passt der Pis nicht: Direktor Nawrocki verwendet nun die Zahl von "über 350 000" Mitgliedern des polnischen Untergrundstaates. "Von diesen haben aber nur wenige mit der Waffe in der Hand gekämpft. Dies ist schlicht historische Manipulation", sagt Machcewicz.

Eine Ausstellung ist bis ins Detail durch Autorenrechte ihrer Macher geschützt, auch in Polen, und nicht nur durch polnisches, sondern auch durch EU-Recht. Nur Tage, nachdem Machcewicz in einem offenen Brief angekündigt hatte, er werde gegen sämtliche ohne seine Zustimmung erfolgten Änderungen klagen, begannen der gern gegen politische Gegner eingesetzte Geheimdienst CBA und die Staatsanwaltschaft von Danzig wegen Absprachen Machcewiczs als Museumsdirektor mit dem Danziger Bürgermeister zu ermitteln, die das Museum geschädigt hätten. Zwei Geheimdienst-Mitarbeiter erschienen abends an Machcewiczs Warschauer Privathaus - "ein Manöver, um meine Familie und mich unter Druck zu setzen und einzuschüchtern", so der Historiker. Klage reicht er trotzdem ein - nicht nur in Polen.

In Straßburg wird Machcewicz vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen Polen klagen, weil sich Polens Oberstes Verwaltungsgericht in einem mutmaßlichen Kotau vor der Regierung weigerte, über die mutmaßlich gesetzeswidrig erfolgte Zwangsvereinigung des Weltkriegsmuseums mit einem anderen, bis heute nur auf dem Papier existierenden Museum zu urteilen. Wegen eines langjährigen Direktorenvertrages Machcewiczs war die Zwangsvereinigung für die Pis unverzichtbare Grundlage für seine Entlassung und die Übernahme der Kontrolle über das Museum. Und in Warschau und in Sopot bei Danzig hat Machcewicz ein Buch vorgestellt, das er in den vergangenen Monaten geschrieben hat. Der Titel: "Museum". Zur Präsentation des Buches, das die Geschichte des wohl härtesten Kampfes um Geschichte und Propaganda seit Ende des Kommunismus in Polen erzählt, kamen jeweils mehrere hundert Polen.

© SZ vom 15.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: