Kapitalismuskritik:Ein Warhol für 18 Dollar

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Der Aktivist und Künstler Paolo Cirio verkauft Digital-Reproduktionen teurer Gemälde für einen Bruchteil ihres Preises. Und entlarvt damit den Irrsinn von Kunstverkäufen.

Von Bernd Graff

Eine der absurdesten Errungenschaften des Spätkapitalismus ist die moderne Kunst. Genauer: Es ist die Verhandlung ihrer Werke auf Auktionen, ihre Einspeisung in den spekulativen Warenmarkt. Das hat den Aktivisten, Künstler und Hacker oder aktivistischen Hacker-Künstler Paolo Cirio dazu bewogen, einen Datensatz mit den in den vergangenen zehn Jahren erzielten Preisen von 100 000 Kunstauktionen des Hauses Sotheby's auf seine Webseite "Art Derivatives" zu übertragen. Gemeinsam mit Abbildungen der dort versteigerten Kunstobjekte.

Allerdings stellt Cirio Werke und ihre Preise nicht nur aus, er verkauft Digital-Reproduktionen von ihnen - zu einem Hunderttausendstel des Auktionspreises. (Für Freunde der leichten Mathematik: den Originalpreis mal 0,00001 oder 10-⁵ nehmen!). Den Cirio-Bildern ist über ihre gesamte Fläche und in Fettdruck der Auktionspreis überblendet, eigentlich sieht man nur das Preisschild mit bunten Hintergründen, die bekannt anmuten.

Die "Campbell's"-Dosen für 18 Dollar, Picassos sind noch günstiger

Cirio spricht von "Kompositionen aus numerischen Werten und Fotos von Artefakten" - und nennt seine Bilder darum Originale. Als solche sind sie mit einem Echtheits-Zertifikat des Künstlers Cirio zu erwerben. Die mit weit mehr als 20 Millionen Dollar gehandelte "Early Colored Liz" von Andy Warhol geht hier für 203,25 Dollar weg, dessen "Campbell's"-Dosen für 18,15 Dollar, alles zahlbar per Paypal. Picassos sind derzeit sogar noch günstiger.

Cirio will damit auf den Irrsinn aufmerksam machen, dass es bei Kunstverkäufen zuletzt um Kunst geht. Es gehe nur noch um Finanztransaktionen. Und dieses Geschäft sei völlig undurchsichtig geworden, der Handel nicht nachvollziehbar, Steuerhinterziehung und Geldwäsche seien an der Tagesordnung, ebenso Insider-Deals, Marktmanipulation, Lobbyismus und Monopolismus. Die künstlerische Avantgarde bediene eine Schattenbörse für diejenigen, die es sich leisten können (und sowieso nichts an den Staat zu verschenken haben.) Doch warum funktioniert das ausgerechnet mit Kunst?

Weil es ihr um nichts mehr geht. Konnte sich ein Adorno in den Sechzigerjahren noch am Gedanken erwärmen, dass avantgardistische Kunst durch "ihre neue Gestalt dem Weltenlauf widersteht, der den Menschen immerzu die Pistole auf die Brust setzt", hält der Maler David Hockney in den Achtzigerjahren "die Idee dieser ewigen Avantgarde" bereits "für völlig absurd". In seiner Autobiografie schreibt er: "Die Vorstellung eines fortwährenden Widerstands ist unsinnig und setzt ein Drama voraus, wo es kein Drama gibt."

Der wahre Wert eines Kunstwerks entspricht seinem Warenwert

Seitdem gilt die "inhaltliche Seite" der Kunst (Peter Bürger) als historisch verbraucht. Die "besondere Anstößigkeit der Kunst schockiert heute niemanden mehr, ästhetische Produktion ist integraler Bestandteil der Warenproduktion geworden", sagt darum der Ästhetiktheoretiker Fredric Jameson. Nimm das, Adorno!

So ist die interessante, aber eben auch absurde Situation entstanden, dass auf dem freien Markt für sehr viel Geld sehr viele unterschiedliche ästhetische Objekte - manche sind sogar schön - als "moderne Kunst" kursieren, doch niemand weiß so recht, warum noch. Im Umkehrschluss heißt das auch, dass der wahre Wert eines Kunstwerks seinem Warenwert entspricht und folglich dem, was wenigstens zwei Leute dafür zu zahlen bereit sind. Kunst ist also das, was teuer gehandelt wird und dann im Museum hängt oder im Museum hängt und dann teuer gehandelt wird.

"Die Realität des 'Anything Goes'", so dozierte Jean-François Lyotard, "ist in Wahrheit die Realität des Geldes: In der Abwesenheit ästhetischer Kriterien ist es nun nicht nur möglich, sondern sogar nützlich, den Wert von Werken der Kunst daran festzumachen, welche Profite sie erzielen."

Und darum will Paul Cirio den intransparenten Kunstmarkt mit den "Derivativen", wie er seine "Werke" nennt, unterwandern. Man kauft sie als Dateien, Bilder in Hochauflösung. Jedes kommt mit einem Echtheitszertifikat - und einem Vertrag. Darin wird der Käufer verpflichtet, sein Bild wenigstens fünf Jahre lang zu behalten. Danach darf er es nur für mindestens den fünffachen Preis veräußern. Sollte das "Original" zwischenzeitlich günstiger versteigert werden, dann muss das Cirio-Bild für das Zehnfache des neuen Preises veräußert werden: Wenn der Kunstmarkt schwächelt, steigen also die Cirio-Preise.

Spekulationsaktivismus nennt das der Künstler. Damit wolle er den Kunst-Kapitalismus demokratisieren, konterkarieren und mit seiner eigenen Logik schlagen. Teil dieser Logik ist allerdings auch, dass der Kunstmarkt Urheberrechtsverletzungen ahndet. Ob Cirio da unbehelligt bleiben wird, ist wohl so ungewiss wie die Entwicklung der Preise. Denn es geht nach wie vor nichts über Originale.

© SZ vom 07.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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