Kolumne: Deutscher Alltag:Früher war mehr Lametta

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Einst hatten die Kabarettisten den heiligen Franz Josef, den rotsockigen Streiblmax und Stoiber, den streitsüchtigen Wolfratshauser Vorstadtgeck. Heute bleibt den armen Hunden nur der Söder.

Kurt Kister

Wenn man in München sagt, dass man Biergärten nicht sehr und Bierhallen gar nicht mag, gilt man als schwuler Kommunist oder mindestens als damischer Preiß. Gewiss, ein Biergarten kann seinen Reiz haben, zumal wenn man sich in diesem endlosen Winter vorstellt, es könne wieder mal so warm werden, dass man im T-Shirt draußen sitzt und an einem lauen Abend unter Kastanien ein Lüngerl mit Knödel, keine Speise für damische Preiß'n, isst.

Andererseits ist der Prozess der menschlichen Zivilisation untrennbar damit verbunden, dass man immer mehr Dinge, welche der Urmensch draußen tat, in Gebäude verlegte. Der Cro Magnon spaltete dem Riesenhirsch im Wald den Schädel und verschlang seine Beute im Freien, vielleicht geschützt vom Überhang eines großen Felsens. Heute dagegen geht man, so man in München lebt, zum Dallmayr und kauft dort ein Filet vom Kobe-Rind für 56 Euro. Zubereitet und verzehrt wird es in der Villa am Isar-Hochufer, deren Panorama-Fenster den Eindruck vermitteln, da draußen im Garten könnte man, wollte man nur, sich ein wenig, und sei es nur für eine halbe Stunde, wie der Cro Magnon benehmen.

In unseren Breiten gibt es die Sucht, sobald die Sonne scheint, sich rauszusetzen. In Bayern ist diese Sucht noch verbreiteter (daher rühren die Biergärten), wohl auch weil in Bayern der Cro-Magnon-Trieb stärker ist als in anderen Bundesländern. Dass in Bayern auch Bierhallen sehr populär sind, steht keineswegs im Widerspruch dazu. Die Bierhalle ist lediglich ein überdachter Biergarten. In Bierhallen oder Bierzelten benehmen sich die Sitzenden, die meist auch Saufende sind, noch unangenehmer als in Biergärten. Sie schreien lauter, sie riechen strenger und sie erbrechen sich schneller.

Wie es ist, wenn Bierhalle, Cro Magnon und Isar-Hochufer aufeinander treffen, kann man jedes Jahr beim sogenannten Politiker-Derblecken am Nockherberg studieren. Es gibt Menschen, die sagen, früher sei das viel lustiger gewesen. Man trifft aber kaum jemanden, der das beschwören würde. Es stimmt schon, früher waren die Politiker selbst zwar nicht lustiger, aber sie waren skurriler wie etwa der heilige Franz Josef mit seinem Pistolerl in der Handtasche oder der rotsockige Streiblmax und sogar der junge Ede Stoiber, der streitsüchtige Wolfratshauser Vorstadtgeck.

Heute müssen sich die Kabarettisten mit Söder und Guttenberg zufrieden geben. Die Kabarettisten selbst sind auch arme Hunde, weil das Volk, das Bierhallenvolk zumal, an sogenannte Comedians gewöhnt ist, die keine Geschmacksgrenzen kennen. Auch deswegen benehmen sich die wenigen noch überlebenden Kabarettisten immer häufiger so, als wären sie Komödianten. Und damit werden sie den Objekten ihrer Kunst, den Politikern, immer ähnlicher.

© SZ vom 13.03.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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