Kolumne: Deutscher Alltag:Das Leben ist eine Baustelle

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In München gelten Autos als böse, es sei denn, man kann sich den X-5 selbst leisten. Sollen sie deshalb mit immer neuen Baustellen aus der Stadt gedrängt werden?

Kurt Kister

Nein, kein Wort über Merkel, den Euro und die allgemeine Riesenkrise. Stattdessen ein kleiner Monolog über Dinge, die die Menschen wirklich interessieren. Baustellen zum Beispiel. Solche Baustellen, die einem als Autofahrer das Leben vergällen. Wer jetzt einwendet, man solle halt nicht Auto fahren, sondern den öffentlichen Nahverkehr benutzen, dem sei entgegengehalten, dass erstens die U-Bahn nicht überallhin fährt, es zweitens in der S-Bahn stinkt, und man drittens auch religiöse Gründe dafür anführen kann, nicht in Busse oder Bahnen zu steigen.

München, Mittlerer Ring: So sieht das hier immer aus. Nur das Wetter ändert sich. Manchmal. (Foto: Foto: dpa)

Baustellen findet man auf Autobahnen und Ringstraßen da, wo sie den Verkehr maximal behindern. In München zum Beispiel gibt es den Mittleren Ring, der dem Gefühl nach ungefähr seit Kriegsende mal hier, mal da untertunnelt wird. Der Bau eines solchen Tunnels dauert zwischen sechs und zehn Jahren. Weil München die mutmaßlich einzige Stadt der Welt ist, wo noch immer eine rot-grüne Stadtregierung herrscht, die phänotypisch wie politisch ungefähr 1987 ist, der Oberbürgermeister allerdings schon 1993, dauert der Tunnelbau hier noch länger. In München gelten Autos als böse, es sei denn man kann sich den X-5 selbst leisten. Können übrigens viele.

Wer draußen in der Welt gelebt hat und dann nach München zurückkommt, kann sich darauf verlassen, dass sich nicht viel geändert hat. Der OB heißt immer Ude, auf dem Ring gibt es immer hanebüchene Fahrbahnverengungen.

Man wird grundsätzlich von Autos geschnitten, die aus Gegenden stammen, in denen die Nummernschilder mit drei Buchstaben anfangen, FFB oder DAH oder EBE. Das ist wie in Berlin, wo die Kennzeichen LDS, HVL oder BRB Tod und Verderben signalisieren.

Es gibt die Theorie, dass Ringautobahnen ohne Baustellen genauso wenig existieren können wie Wale ohne Luft. Möglicherweise ist es sogar so, dass sich solche Baustellen ohne menschliches Zutun bilden. Dafür spricht, dass man oft 20 Minuten lang im Stau durch eine dieser Baustellen zuckelt, ohne einen einzigen Arbeiter zu sehen.

Es wäre dies eine, in ontologischer Hinsicht hoch interessante, selbst induzierte Veränderung: Der Mittlere Ring bildet stets neue Tunnel aus, die nicht dem Verkehr dienen, sondern Wachstum an sich sind, so, wie etwa das Great Barrier Reef vor Australien auch einfach gewachsen ist.

Natürlich gibt es auch nie nur eine einzige Baustelle. An einer wichtigen Straße am Starnberger See wird gerade eine Brücke erneuert und im nächsten Dorf ein Kreisverkehr gebaut. Der Stau reicht morgens vom Kreisverkehr über die Brücke bis zur Autobahn. Erreicht man München doch noch, strandet man am Great Tunnel Reef.

© SZ vom 25.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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