Klassik:Michelangelis Debussy

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(Foto: N/A)

Von Harald Eggebrecht

Als junger Mann mit Sonnenbrille sah Arturo Benedetti Michelangeli (1920-1995) genau so aus, wie man sich einen Piloten der italienischen Luftwaffe vorstellt - der er war. Ebenso wie er später ein Kämpfer im antifaschistischen Widerstand war. Stolz, selbstverständliche Eleganz, ein untilgbarer Hauch von Melancholie und distanzierender Einsamkeit umwehten diesen am 5. Januar vor hundert Jahren in Brescia geborenen virtuoso assoluto. Übrigens ein Pianistentag, weil auch Alfred Brendel und Maurizio Pollini am 5. Januar Geburtstag haben. Eigentlich wollte "il divino Arturo" oder ABM, wie er voller Respekt abgekürzt wurde, Geiger werden, weil ihm das Klavier zu viel "bimbambum" mache. Gerade das hat er dem Instrument dann unnachahmlich ausgetrieben. Dabei war er berühmt-berüchtigt für Konzertabsagen im letzten Moment und spielte öffentlich "nur" ein vergleichsweise eng umrissenes Repertoire, darin ein wenig an den heiklen Dirigenten Carlos Kleiber erinnernd. Doch als Lehrer zeigte er seinen Studenten, wie ungeheuer weit gespannt der Horizont und die Vielfalt der Klaviermusik von den Anfängen bis in die Gegenwart ist. Schüler aus ärmlichen Verhältnissen unterrichtete er gratis.

In einem der seltenen Interviews sagte er, um ein guter Musiker zu sein, brauche es gründliche Vorbereitung, eine gewisse Veranlagung und Opferbereitschaft, weil es eine "Philosophie, eine Lebensform" sei jenseits von guten Absichten und natürlichem Talent.

Niemand hat sich in den Imaginationskosmos von Claude Debussys Klaviermusik so versenken können wie er. Debussy hat seinen Préludes jeweils am Ende weniger Titel als vielmehr Assoziationsräume nachgestellt. Tatsächlich vermochte nur ABM solcherart Räume als bannendes Klangereignis im Konzert zu erschaffen durch seine unwiderstehlich genaue Gestaltung musikalischer Zeit. Sogar bei den Aufnahmen (DG) hört man nicht einfach zu, sondern Michelangeli öffnet mit grenzenlosem Anschlagsfarbenreichtum und Artikulationsklarheit bis in die feinsten Nuancen Debussys Musik so, dass man glaubt, in dieser Welt voller Klangwunder umherwandeln zu können. Wer ihn live erlebt hat, wollte diese Debussy-Räume nie wieder verlassen.

© SZ vom 04.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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