Klassik:Abschiedsbilder

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Der italienische Pianist Maurizio Pollini kombinierte auf dem Podium schon Ungetüme der Avantgarde mit alten Schwergewichten wie Beethoven, als das noch kühn war. (Foto: Luca Bruno/AP)

Kindlich große Fragezeichen und altersmilde Zuneigung zu sich selbst: Maurizio Pollini begeistert im Münchner Herkulessaal mit den letzten großen drei Beethoven-Sonaten.

Von Helmut Mauró

An manchen Abenden, wie an diesem im Münchner Herkulessaal mit der Pianistenlegende Maurizio Pollini, kommt einem Beethovens E-Dur-Sonate, die drittletzte, fast gewichtiger vor als die folgende, schwerere op.110. Weil alles so knapp konzentriert nur noch aufblitzt und wie ein letztes Mal vorüberzieht, weil die irdische Schwere einer melancholisch nachsichtigen Leichtigkeit gewichen ist, die an das Frühwerk erinnert, an ernste aber vergleichsweise unbeschwerte Tage, an Zeiten großer Hoffnungen und Erfolge. Hier scheinen sich zumindest die künstlerischen Biografien von Beethoven und Pollini zu überlagern, und so kann es einem einleuchtend vorkommen, dass der Pianist diese Sonate angeht, als wäre es die erste, als gelte es noch experimentell herauszufinden, wohin die Klangreise geht.

Es ist eine vom Karriereehrgeiz befreite Rückschau, ein Erinnern, eine Zuneigung zu sich selbst

Selbst dem sentimental aufgeladenen Adagio versagt Pollini alles Gefühlige, bringt es fast schmerzhaft trocken auf den kompositorischen Punkt, tastet sich spröde und ein bisschen neugierig vorwärts. Wo Beethoven in der für sein Spätwerk typischen Melodiesucht größte Intimität wagte und quälend isolierte Selbstbetrachtung, da setzt Pollini ein kindlich großes Fragezeichen. Und wo, wie in der c-Moll-Sonate op.111, alle musikalischen Mächte auf den Plan gerufen werden, um ein Weltenschicksal zu verhandeln, da stürmt er sich verhaspelnd los und rennt einfach weiter, ohne auch einem fehlenden Ton, einem missglückten Akkord oder verstolpertem Metrum nachzuschauen.

Je wirrer alles wird, je bedrückend kompakter, nicht konzentrierter, desto ungreifbarer etwaige Inhalte, desto weniger pathosverpflichtend. Und so klingt die sonst so überraschende Boogie-Woogie-Variation in dieser Sonate so unbeschwert heiter, als habe Beethoven hier die sinnfreie Unterhaltungsmusik erfunden. Alles verzweifelnd Hinterfragende und abgründig Verrückte ist wie weggefegt.

Manchmal klingt das dann wirklich so draufgängerisch wie bei den Jungen, aber es ist nicht mehr der fröhlich blinde Sturm nach vorne, sondern eine vom Karriereehrgeiz befreite Rückschau, ein freundliches Erinnern, eine Zuneigung zu sich selbst - zu dem, was er in den letzten 60 Jahren in wechselnden, aber nicht grundlegend unterschiedlichen Entwicklungsphasen auf den Podien der Welt zum Besten gab.

Man hatte nie den Eindruck, es sei weniger als das Beste, und selbst dieses Konzert des nun 77-Jährigen wird man zu seinen besten zählen müssen. Auch wenn in der Beziehung zum Werk und zu sich selbst inzwischen eine Altersmilde hinzugekommen ist - sowohl von seiner Seite aus, als auch von Seiten der Hörer -, die sich wie ein Moskitonetz über das Geschehen legt und auch die kleinsten Sticheleien und Scheinangriffe von außen abwehrt. Pollini kann nun nicht mehr nur spielen, was er will, sondern vor allem: wie er es will. Ovationen, Applausrausch.

© SZ vom 28.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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