Kino:Wellen der Erinnerung

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Ein Mann blickt zurück auf seine Jugend am Genfer See: "Gens du lac (Leute vom See)" hatte seine Uraufführung Anfang des Jahres in Lausanne. (Foto: Filmmuseum München)

Als Deutschlandpremiere ist im Filmmuseum "Gens du lac" zu sehen, das jüngste Werk von Jean-Marie Straub

Von Fritz Göttler, München

Die Revolution kann noch nicht zu Ende sein, der Widerstand geht weiter. Die Menschheit hat keine Zukunft ohne ihn, kein Überleben. Im Blick nach vorn muss immer auch der Blick zurück eingeschlossen sein, auf die Geschichte. Es ist die Quintessenz der Filme von Jean-Marie Straub, dem nun 85 Jahre alten Filmemacher, der von Altersweisheit wenig, dafür sehr viel von Alterszorn hält. Ein produktiver Zorn. Revolution ist ein Tigersprung in die Vergangenheit, den Satz von Walter Benjamin hat Straub gerne zitiert.

An diesem Donnerstag wird im Filmmuseum sein bislang letzter Film gezeigt, in deutscher Premiere, "Gens du lac (Leute vom See)", nach dem Roman von Janine Massard. Der See ist der Genfer See, wo Straub seit einigen Jahren lebt, der Film wurde in Lausanne uraufgeführt, zum 85. Geburtstag des Filmemachers. Ein Mann erinnert sich an die Zeit im Krieg, den Widerstand, die Jahre danach, als der Faschismus besiegt schien und ein Neuanfang möglich gewesen wäre, eine linke Politik. Die Wellen des Sees bilden eine elementare Bewegung, die zugleich Stillstand ist. "Ein See ist auch eine Grenze, aber außerhalb des Wassers verliert sich diese Bezeichnung: In der Fischerei, der ,Profession freier Männer', finden sich die Menschen von der französischen und der Schweizer Seite, die Savoyarden und die Waadtländer als Brüder, und wenn wir laut nur von Netzen und Fischen sprechen, treten wir im Stillen manchmal in die Résistance ein ..."

Klaus Volkmer hat den 17-minütigen Film in Lausanne gesehen und ihn sich gewünscht, als Teil einer Abschlussvorstellung, bevor er nach über dreieinhalb Jahrzehnten im Filmmuseum in den "Ruhestand" geht. Straub ist, zusammen mit seiner Frau Danièle Huillet, die 2006 starb, ein wesentlicher Teil der Münchner Filmgeschichte. Sie haben in den Sechzigern in München gewohnt, und ihre Wohnung war oft Treffpunkt für all die Leute um die Leopoldstraße herum, die dann den Jungen Deutschen Film bestimmen sollten. 1962/63 haben sie ihre ersten Filme gemacht, "Machorka-Muff", und "Nicht versöhnt" oder "Es hilft nur Gewalt, wo Gewalt herrscht", beide nach Heinrich Böll, dann die "Chronik der Anna Magdalena Bach". Auch als sie dann Filme in Frankreich und Italien machten und nach Rom zogen, sind sie gern nach München gekommen und haben neue Filme im Filmmuseum gezeigt, vor vollem Haus. Das Filmmuseum hat für seine Sammlung alle Straub-Huillet- und Straub-Filme angekauft.

Man kann in diesen Filmen bis heute erleben und lernen, was fürs Filmemachen nötig ist: Sorgfalt und Genauigkeit, Achtung und Respekt, Professionalität und Handwerk, Sinn für die Materien - in diesem Sinne sind Straub und Klaus Volkmer "Brüder im Geiste". Als zweiten Teil hat er sich "Band Wagon" ausgesucht, ein Vincente-Minnelli-Musical, mit einem überwältigenden Pas de deux von Fred Astaire und Cyd Charisse. Auch hier: Sorgfalt, Respekt, Professionalität.

Gens du lac (Leute vom See) , Schweiz 2018, Regie und Buch: Jean-Marie Straub; The Band Wagon (Vorhang auf!) , USA 1953, Regie: Vincente Minnelli, Do., 20. Dez., 19 Uhr, Filmmuseum München

© SZ vom 20.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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