Kino:Vielfalt, Vielfalt, Vielfalt

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Wo einst toter Boden vor sich hin staubte, grasen heute Rinder: Stilles Still aus „Unsere große kleine Farm“ (Foto: Verleih)

Zwei Großstädter aus Los Angeles gründen einen Bio-Bauernhof - und machen aus dieser Erfahrung einen herzerfrischenden Dokumentarfilm. Wenn nur der ständig bellende Hund nicht sterben würde ...

Von Martina Knoben

Zwei Großstädter - er Filmemacher, sie Foodbloggerin - gründen eine Öko-Farm, weil ihr Hund ständig bellt und sie aus ihrer Wohnung in Los Angeles fliegen. Das klingt nach Firstworld-Problem und Wolkenkuckucksheim-Idee? Unbedingt! Aber wenn man davon mit soviel Witz und Selbstironie erzählt wie John Chester in seiner Dokumentation, dann bitte mehr Wolkenkuckucksheime!

Ein Bauernhof wie aus dem Bilderbuch soll es werden, mit vielen verschiedenen Tieren, und im Einklang mit der Natur. Während Chesters Frau Molly ihre Vision darlegt, ist die Traum-Farm als Zeichentrick zu sehen: Glückliche Schafe, Hühner und ein Schwein, fette Pflaumen, Nektarinen und Brokkoli, alles fröhlich bunt gezeichnet wie im Kinderbuch. Die Tricksequenz illustriert den naiven Idealismus des Paares - der auch dem Zuschauer den Weg in diesen utopischen Versuch ebnet. Hier sind keine Profis am Werk, keine Landwirte in fünfter Generation, sondern Großstädter wie wir! Die ihren Traum leben und am Ende tatsächlich Erfolg haben. Alles, was die Zeichentricksequenz zeigt, wird auf der "Apricot Lane Farm" der Chesters Wirklichkeit werden, "Unsere große kleine Farm" dokumentiert, wie das sein konnte.

Dass aus den 80 Hektar staubtrockenem, "totem" Boden in den kalifornischen Hügeln, den Molly und John 2011 kauften, ein Vorzeigehof werden würde, war erstmal nicht abzusehen. Allerdings hatte das Paar einen Berater für traditionelle Landwirtschaft engagiert, einen charismatischen Mann mit eigenwilligen Ideen. Auf seinen Rat hin reißen die beiden rund 22 Hektar alter Bäume aus, errichten einen Palast für Würmer, um deren Kot zu ernten, pflanzen allein 75 verschiedene Sorten Steinobst und säen zwischen den Bäumen Gras zur Gründüngung. Es ist eine Sisyphos-Arbeit, die allein dem Credo ihres Boden-Flüsterers folgt: "Vielfalt, Vielfalt, Vielfalt!"

So zeitgemäß diese Öko-Botschaft ist, erzählt "Unsere große kleine Farm" auch eine uramerikanische Geschichte, von Pionieren, die an der Zivilisationsgrenze ein neues Leben beginnen, wie im Western. Immer wieder betont werden auch die family values: Auslöser des Ganzen war schließlich das Versprechen, das die Chesters ihrem Hund Todd gegeben hatten, als sie ihn in einer Hundeauffangstation adoptierten, dass sie ihn nie mehr weggeben würden.

"Unsere große kleine Farm" ist ausgesprochen süffig, luftig und lustig erzählt, mit einer konventionellen Dramaturgie. Eine Schneckenplage, Kojoten, die die Hühner fressen, oder Schwärme von Staren sind die Rückschläge, die die Sache spannend machen - und Johns Idealismus an seine Grenzen bringen. Einen Kojoten knallt er höchstpersönlich ab. Als Mittel der komischen Entlastung gibt es die Geschichte eines hässlichen, aber grundsympathischen Schweins.

Es ist erfrischend, dass der mahnende Grundton und die oft auch ästhetische Strenge vieler Filme über Naturzerstörung und mögliche alternative Wege hier völlig fehlen. Die Chesters treten nicht als Weltretter auf, sondern als Genießer, von gutem Essen (da werden die Weichen bekanntlich beim Anbau der Zutaten gestellt) und überhaupt der Natur. Es ist eine Welt der Wunder, wunderschön und staunenswert, die John Chester in großartigen Naturaufnahmen eingefangen hat. Dieses Staunen hat er auch als Bauer, wenn er natürliche Regulationsmechanismen entdeckt, die er als Problemlöser für seinen Hof nutzt, wenn etwa seine Enten eine fürchterliche Schneckenplage einfach wegfressen.

Leider sind die Musik und der Kommentar des Films immer wieder fürchterlich sentimental. Richtig schlimm ist es nach dem Tod des Hundes Todd, Molly und John hatten da gerade ein Baby bekommen: "Es war, als spürte er, dass seine Rolle in unserem Leben vollendet wäre", heißt es da. "Wir hatten jetzt jemand anderen, für den wir stark sein mussten." Das ist nicht nur kitschig, sondern reduziert das angebliche Familienmitglied Todd dann doch wieder auf die Rolle eines Nutztieres, das seinen Dienst getan hatte.

Zu den Erfahrungen, die Molly und John als Farmer machen, gehört allerdings auch die, dass es den angestrebten Einklang oder gar eine Einheit mit der Natur nicht geben kann. Statt in Harmonie mit der Natur lebten sie, wie es am Ende heißt, mit ihr "auf einem angenehmen Level von Disharmonie".

The Biggest Little Farm, USA 2019 - Regie: John Chester. Buch: J. Chester, Mark Monroe. Kamera: J. Chester. Schnitt: Amy Overbeck. Musik: Jeff Beal. Verleih: Prokino, 91 Minuten.

© SZ vom 12.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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