Kino:Mosaike aus den Scherben

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Klaus Kinski und Werner Herzog am Set von "Cobra Verde" , fotografiert von Beat Presser - seine Bilder sind jetzt in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste zu sehen. (Foto: Beat Presser)

Die Ausstellung "Aufbruch ins Jetzt" zeigt Beat Pressers Fotografien von den Machern des Neuen Deutschen Films in der Bayerischen Akademie.

Von Susan Vahabzadeh

Auf den kleinen Bildschirm zwischen den Fotografien wird man schon deswegen aufmerksam, weil Klaus Kinski so laut ist: Man sieht und hört ihn zetern am Set von "Cobra Verde" (1987), und bald ist auch Werner Herzog im Bild, und man ist sich nicht ganz sicher, ob die beiden, wenn sie aus dem Bildausschnitt heraustaumeln, handgreiflich werden oder nicht; es entspräche den Legenden, die sich um die Zusammenarbeit von Regisseur Herzog und seinen exzentrischen Star ranken, mit dem er damals zum fünften und letzten Mal drehte. Die Aufnahmen hat damals der Schweizer Fotograf Beat Presser gemacht. In der Ausstellung "Aufbruch ins Jetzt - der Neue Deutsche Film" in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste (bis 28. Juli) zeigt er Fotos von damals und vor allem von heute. Er hat viele der Protagonisten, vor und hinter der Kamera, in den letzten Jahren besucht und erneut porträtiert.

Diese Fotografien sind nun das Kernstück der Ausstellung, dazu gibt es die Videos und eine wunderbare Soundinstallation, für die aus diversen Gesprächen mit Volker Schlöndorff, Alexander Kluge und anderen eine Unterhaltung über den Neuen Deutschen Film zusammenmontiert wurde, die nie stattgefunden hat. Als sich damals eine Gruppe von Filmemachern zusammenfand, da gab es ja nur Papas Kino, und das erklärten sie mit ihrem Oberhausener Manifest im Februar 1962 für tot. Der Regisseur Edgar Reitz gehörte zu dieser Gruppe damals dazu, wie viele andere hatte er bis dahin gar keine Spielfilme gemacht, sondern Dokumentar- und Experimentalfilme. Reitz, der Schöpfer der "Heimat"-Reihe, deren diverse Teile und Epochen inzwischen etwa 60 Stunden Film umfassen, gehört der Akademie der Schönen Künste an, und nun steht er in der Ausstellung und findet lauter alte Bekannte. Thomas Mauch beispielsweise, der die Kamera bei einer Reihe von Herzog-Filmen gemacht hat, "Fitzcarraldo" und "Aguirre, der Zorn Gottes" etwa, aber auch bei "Heimat 3" von Reitz. Und auch seine erste eigene Kameraführung hatte Mauch bei Reitz, in den Sechzigerjahren.

Wie war das damals, als der Neue Deutsche Film noch keinen Namen hatte? "Es gibt Aufbruchstimmungen, die eine ganze Generation erfassen, und das spürten alle", sagt Edgar Reitz. "Wir hatten, direkt nach dem Manifest und vor allem in den Siebzigerjahren, als unsere Filme die Festivals beherrschten, das Gefühl, als Generation im Aufwind zu sein. Aber man ist sich natürlich nicht so im Klaren darüber, was da passiert, das erkennt man erst hinterher."

Das Fernsehen nennt Reitz als Beispiel, "das goldene Zeitalter in den Siebziger- und Achtzigerjahren - überall in den Sendern saßen Leute, die mit der Filmkunst aufgewachsen waren und eine glühende Leidenschaft für sie hatten. Sie kannten alles, was man selbst verehrte, und so sprachen wir dieselbe Sprache." Das Fernsehen als Ko-Produzent wurde ein wichtiger Förderer des Neuen Deutschen Films, aber Geld war ein Mittel und nicht das Ziel. "Alles, was diese Leute an nennenswerten Filmen gemacht haben," sagt Reitz mit ausholender Geste durch den Ausstellungssaal, "konnte erst aus dieser Stimmung heraus entstehen."

Beat Presser, sagt Reitz, hatte die Fähigkeit, am Set unterzutauchen - man hat ihn gar nicht bemerkt, aber hinterher waren die Bilder da." Nun schaut Reitz sich um in der Vergangenheit und entdeckt natürlich alte Bekannte. Er läuft gleich auf die Wand zu, an der sich Porträts von Jeanine Meerapfel und Hark Bohm abwechseln. Es ist ein bisschen schade, dass die Ausstellung nicht mehr Hintergrund und Kontext bietet - zum Neuen Deutschen Film gehörten, anders als zur Nouvelle Vague, eine ganze Reihe Frauen, Meerapfel, Elfi Mikesch, Ulrike Ottinger, Margarethe von Trotta und Helma Sanders-Brahms. Begleitet wird die Ausstellung aber von einigen Veranstaltungen - am 30. Juni kommt Ulrike Ottinger zum Filmgespräch ins Theatiner-Kino, gezeigt wird ihr "Dorian Gray im Spiegel der Boulevardpresse" (1984), am 13. Juli gibt es das Gemeinschaftswerk "Deutschland im Herbst" (1978) im Filmmuseum, in der kommenden Woche (13. Juni) wird dort Fassbinders "Lola" gezeigt, dazu gibt es eine szenische Lesung mit Isolde Barth und Harry Baer.

Eine neue Generation wollte sich ein authentischeres Bild von der Welt machen

"Alle, alle, die man hier sieht", sagt Reitz, der aus dem Hunsrück hergekommen war, was in seinen Filmen eine zentrale Rolle spielt, "haben damals in München gelebt!" Eine organisierte, zusammenhaltende, erkennbare Bewegung war der Neue Deutsche Film ja, trotz des Oberhausener Manifests, eigentlich nicht. Und doch kann man, von heute aus betrachtet, klar zuordnen, wer dazugehörte. Im Osten verliefen die Kämpfe anders, den Regisseuren um Reitz und Alexander Kluge ging es ja vor allem darum, Film als Kunst betreiben zu dürfen, erinnert sich Reitz. Jedenfalls war das reine, kommerzielle Unterhaltungskino bei diesen Filmemachern einigermaßen verpönt. Es war auch absehbar, dass es fürs Kino rauer werden würde im Fernsehzeitalter, und das bonbonbunte Kino der Fünfzigerjahre, das "Idyll nach dem Chaos", war nicht mehr so gefragt. Eine neue Generation wollte sich ein authentischeres Bild von der Welt machen - ganz unabhängig voneinander hatten Filmemacher in Amerika und in Frankreich in den Jahren zuvor begonnen, die Wirklichkeit mit der Kamera zu erobern.

Aber in Deutschland lag es anders - es gab auch eine Vergangenheit aufzuarbeiten, und irgendwie wurden sie dann alle, auf ganz unterschiedliche Weise, zu Chronisten der jungen Republik. Sehr direkt mit "Deutschland im Herbst", wo es um die Terroranschläge der RAF 1977 und ihre Folgen ging, mit der Böll-Verfilmung "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1975) von Volker Schlöndorff und Margarethe von Trotta, irgendwie auch mit Wim Wenders' "Im Lauf der Zeit" (1976), in dem zwei Männer an der deutsch-deutschen Grenze entlangfahren. Und Reitz' ursprüngliche "Heimat", fürs Fernsehen gedreht, erstreckte sich ja sowieso zurück bis in die Zeit zwischen den Kriegen. Diese Filme, sagt Reitz, sind wie Mosaiksteinchen, alles Erinnern in der Kunst, so Reitz, funktioniert so: "Man braucht eine Generation Abstand, und dann wird aus einem Scherbenhaufen ein neues Bild geschaffen. So wird Geschichte geschrieben."

© SZ vom 08.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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