Kino:Welche Filme sich lohnen - und welche nicht

"Alles außer gewöhnlich" ist zu gefühlvoll und mitreißend, um ein sozialkritisches Lehrstück zu sein. Woody Allen macht mit "A Rainy Day in New York" Nouvelle Vague.

Von den SZ-Kinokritikern

Alles außer gewöhnlich

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(Foto: Carole Bethuel)

Immer wieder zieht Joseph die Notbremse. Und immer wieder sagen sie ihm, er solle das lassen. Die Sozialarbeiter Bruno und Malik (Vincent Cassel, Reda Kateb) bringen viel Geduld auf für jugendliche Autisten, für Verweigerer, Problemfälle und Notbremsenzieher. Doch in Zeiten von Rationalisierung und Effizienz finden sie dafür immer weniger Verständnis. Ein sozialkritisches Lehrstück ist der neue Film des "Ziemlich beste Freunde"-Duos Olivier Nakache und Éric Toledano zum Glück aber nicht, dafür macht er zu viel Spaß, ist gefühlvoll und mitreißend.

Auerhaus

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(Foto: dpa)

Bov Bjergs Roman über eine Schüler-WG in der deutschen Provinztristesse der Achtzigerjahre, in der ein paar Jugendliche ihren depressiven Mitbewohner vom Suizid abbringen wollen, gehörte zu den schönsten Leseerlebnissen der vergangenen Jahre. Regisseurin Neele Leana Vollmar bleibt der Geschichte so treu wie möglich, aber ohne die sprachliche Zauberkraft des Buchs geht die bittersüße Melancholie der Vorlage leider zum großen Teil flöten.

Nome di Donna

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(Foto: dpa)

Ich bewundere die Frauen, sagt Marco Maria Torri, Direktor des kirchlichen Seniorenheims Baratta, im Zeugenstand. Gern hatte er abends die Angestellten seines Instituts nach Ende ihrer Schicht in sein Büro bestellt, die Unform sollten sie anlassen, das gefiel ihm sehr ... Für das, was sich dann dort abspielte, hat eine von ihnen, Nina, ihn angezeigt. Ein ruhiger "Me Too"-Film von Marco Tullio Giordana, politisches Solidaritätskino. Natürlich sind auch die Kolleginnen gegen die Verräterin. Cristiana Capotondi spielt Nina mit einer aparten Mischung aus Verletzlichkeit und Unbeirrbarkeit. Ich bewundere die Frauen, sagt Torri, das sieht man doch schon daran, dass ich eine Verteidigerin genommen habe.

Ordinary Time

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(Foto: Terratreme Filmes)

Eine Frau (Marta Lança) bekommt ein Kind. Gespräche entspinnen sich mit ihrem Mann, Verwandten und Freunden, die Geschichten erzählen: vom Kriegen und Haben von Kindern, aus dem Früher und dem Heute. Dies ist das Spielfilmdebüt der portugiesischen Regisseurin Susana Nobre, die mit dokumentarischen Arbeiten bekannt wurde. Ihr großartiger Film bewohnt eine Gegenwart, in der verschiedene Zeiten parallel existieren, und ist wie eine Wiege für den Säugling, der alle Zeit noch vor sich hat.

A Rainy Day in New York

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(Foto: dpa)

Woody Allen, eben 84 geworden, macht Nouvelle Vague. Das heißt, er lässt schöne junge Frauen schöne Sachen machen, aber auch verrückte oder verklemmte. Eine hat eine schreckliche Lache, eine andere soll ein Interview machen für eine Studentenzeitschrift mit einem hochverehrten Autorenfilmer und torkelt panisch im irren Filmbetrieb in New York herum, mit seinen mittelalten weißen Männern. Timothée Chalamet, der mit "Call Me by Your Name" berühmt wurde und nach den wiederholten Missbrauchsvorwürfen mit Woody Allen nichts mehr zu tun haben mag, ist eigentlich ganz wunderbar als ein Typ, der sich gern mal an einen Flügel hockt, einen Sinatra-Song anstimmt und sich bemüht, seinem Namen alle Ehre zu machen: Gatsby Welles.

Rotschühchen und die sieben Zwerge

6 / 9
(Foto: Splendid Film GmbH)

Großer Fehler, eine gute Fee für eine böse Hexe zu halten, nur weil sie nicht lieblich und schön, sondern grün und hässlich aussieht! In ihrer Wut verwandelt sie die sieben schneidigen Helden in kleine grüne Ogers, die jemanden finden müssen, der sie für ihre inneren Werte küsst, um den Fluch zu lösen. Klassische Märchen wie "Schneewittchen" und "Die Schöne und das Biest" hat der südkoreanische Regisseur Sung-ho Hong mit modernen Animationserfolgen wie "Shrek" in den Teilchenbeschleuniger geworfen und bonbonbunt und binsenweise zur Antivorurteilsposse verquirlt.

Schönheit & Vergänglichkeit

7 / 9
(Foto: Itworksmedien)

Sven Marquardt ist eine Berliner Institution - als Türsteher des Berghain, aber auch als Fotograf, der die Ost-Berliner Subkultur geprägt und porträtiert hat. Die Filmemacherin Annekatrin Hendel begleitet ihn auf einer persönlichen Zeitreise mit den befreundeten Künstlern Robert Paris und Dome Hollerstein. Dabei findet sie drei sehr persönliche Interpretationen von Unangepasstheit. Ihnen gemeinsam ist das Lebensgefühl aus Schönheit und Vergänglichkeit, jenseits gedanklicher oder tatsächlicher Mauern.

Der Unschuldige

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(Foto: Film Kino Text)

Eine Frau, nicht mehr ganz jung, im Gefängnis ihres Lebens. Die Kirche gibt ihr Halt, die Familie singt abends gemeinsam christliche Lieder, aber immer, wenn sie in ein Auto steigt, muss sie rasen. Irgendwann geht die Terrassentür auf, und ein Mann tritt ein. Sie kannte ihn vor langer Zeit, jetzt ist er zurück. Schuld, Wahn und unterdrückte Sexualität liegen bleischwer auf diesen bläulichen Bildern. Simon Jacquemet erzählt eine Geschichte, in der es keine Gnade, aber Erlösung gibt.

Die zwei Päpste

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(Foto: AP)

Von den Slums von Rio, der unchristlichen "City of God" der Gangster, geht es in die heilige Vatikanstadt. In seinem neuesten Film imaginiert der Brasilianer Fernando Meirelles lange Gespräche zwischen Papst Benedikt und Kardinal Bergoglio, späterer Papst Franziskus, über die Zukunft der Kirche zwischen Tradition und Erneuerung, Schuld, Reue und Vergebung, zwischen steifem Sakralprunk und lebenszugewandter Bescheidenheit. Grandios verkörpert werden sie von den beiden Schauspielgranden Anthony Hopkins und Jonathan Pryce, deren Gesichtslandschaften so genau studiert werden wie die Räume und Gärten der päpstlichen Residenzen. Nach "The Irishman" und "Marriage Story" die nächste Perle aus dem Hause Netflix, die einen längeren Kinoauftritt verdient hätte!

© SZ vom 05.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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