Kino:Dschibuti liegt in Spanien

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Wie geht man mit aktuellen Stoffen um? Wie zeigt man Gewalt? Und warum lieben Blockbuster-Stars die Arbeit mit Wim Wenders? Ein Besuch bei den Dreharbeiten zu dessen neuem Film "Grenzenlos".

Von Susan Vahabzadeh

Der größte Unterschied zwischen einem Buch und dem Film, der daraus vielleicht einmal wird, sind die Grenzen der eigenen Fantasie. Man stellt sich beim Lesen alles Mögliche vor und ist dabei nur den eigenen Bildern ausgesetzt und nicht jenen, die sich ein anderer ausgedacht hat. Wie bebildert man Brutalität, wie muss sich ein Roman auf dem Weg auf die Leinwand entwickeln, was lässt man weg? Das alles spielt eine stille Hauptrolle am Set zu Wim Wenders' Film "Grenzenlos". Ein Nachtdreh, gefilmt wird eine Szene, in der ein Terrorist, Saif, gespielt von Reda Kateb, durch eine afrikanische Stadt zieht und ein Lokal in die Luft jagt.

Wenders warnte, er rede kaum. "Stimmt gar nicht", sagt McAvoy. "Wir reden die ganze Zeit."

Davon wird am Ende nur wenig im Film zu sehen sein. Wie genau Wenders ausbalanciert, welche Bilder kraftvoll sind und welche noch mehr Macht entwickeln, wenn sie in der Vorstellung der Zuschauer entstehen, entscheidet sich oft eben erst im Schneideraum. Explosionen als Production Value - das würde nicht so recht passen zu Wenders, der in seinen Filmen sehr sparsam mit Effekten umgeht. "Ich habe mich mehrmals dafür entschieden, dass die Gewalt von James gesehen wird und nicht vom Zuschauer", sagt er später, als alles längst abgedreht ist. James ist James McAvoy, der im Film James Moore heißt - die Meeresforscherin, in die er sich verliebt, spielt Alicia Vikander. "Ich denke, Gewalt durch eine der Figuren hindurch zu sehen, durch Gegenschnitte auf ein Gesicht, das ist eine andere Erfahrung, als den Bildern blank ausgesetzt zu werden. "

Wenders hat J. M. Ledgards Roman "Submergence" gelesen, kurz nach dem er 2012 erschienen ist und wollte unbedingt einen Film daraus machen - Ledgard, ein britischer Journalist, der selbst lange Kriegsreporter war, erzählt darin von einem Ingenieur, James Moore, der in Afrika von Dschihadisten festgehalten wird, die in ihm einen Agenten vermuten.

Wenders hat zwar auch in Dschibuti gedreht, aber die Gefangenschaft von Moore, der Anschlag - all das wird in Spanien gefilmt. Die vermeintlich afrikanische Straße schlängelt sich zwischen den Nebengebäuden eines verlassenen Klosters in der Mancha hindurch, an die Wände sind bunte Ladenschilder gemalt. Die Gegend tut während des Drehs ihr Bestes, afrikanisch auszusehen, als würde sie sich um einen Darstellerpreis bewerben: Es herrscht eine Gluthitze, der Boden ist trocken, die Luft flirrt, am Horizont sieht man einige Feldarbeiter bei der Ernte und fragt sich, wie sie das, ohne jeden Schatten, aushalten.

Am nächsten Vormittag bereitet sich James McAvoy, Professor Xavier aus den "X-Men" Filmen, auf die nächste Szene vor. Es wird im Inneren des Klosters gedreht - im Film sind wir in einer Moschee, Soldaten der Rebellentruppe zerren den verletzten James zu ihrem Kommandeur, dem er erklären wird, er sei nur hergekommen, um für eine Wohltätigkeitsorganisation Wasserstellen in Flüchtlingscamps zu bauen. Es gibt kaum Licht - und dann wird die Szene erst einmal abgebrochen. Der Maskenbildner eilt herbei und bringt noch ein paar Folterspuren auf James McAvoys Gesicht an, der sich während der Prozedur halblaut mit seinem Regisseur unterhält.

"Er hat vorher gesagt, er rede nicht viel mit den Schauspielern, und wenn er nichts sage, dann sollten wir das als Zufriedenheit interpretieren", sagt McAvoy in der Pause über Wenders. "Das stimmt aber gar nicht - wir reden die ganze Zeit, und er ist in seinen Regieanweisungen sehr genau." Das Spiel strengt McAvoy sichtbar an. Schlagen ihm diese düsteren Szenen aufs Gemüt? "Du kannst als Schauspieler in einer solchen Szene nicht führen, du bist weniger der aktive Geschichtenerzähler, wenn du jemanden spielst, der so gedemütigt wird." Insgesamt aber sieht er sehr viel Hoffnung in dieser Geschichte, nur eben nicht in jenen Szenen, die in der Mancha gedreht werden - seinen eigenen Szenen: "James muss sich mit seinem eigenen Tod befassen - aber Danielle arbeitet unterdessen daran, die Menschheit zu retten."

Auf dem Weg vom Buch auf die Leinwand ist dann doch viel Licht in die Geschichte gekommen. Und Wenders hat eine Art gefunden, die Gewalt zu filmen, die besser zu ihm passt. Man sieht das deutlich an einer anderen Szene, die noch nach dem Anschlag in der Straße neben dem Kloster gedreht wurde - eine Steinigung. "Ich hatte vor keiner Szene jemals so viel Angst wie vor dieser", sagt Wenders. "Letztlich habe ich mich komplett auf James verlassen. Als ich mit ihm darüber geredet habe, hat er genau verstanden, was ich meine - und wir haben dann viel über sein Gesicht ablaufen lassen." Gedreht hat Wenders die Steinigung zwar schon - aber auch hier ist wieder der Spiegel der Geschehnisse James McAvoy, der nur hört, wie die Frau umgebracht wird. "Er stellt sich das vor - und das Ergebnis ist erschreckender, als es tatsächlich zu sehen."

Und es gibt eine Verschiebung, was Danielle betrifft, die den Film als Ganzes tröstlicher, hoffnungsvoller macht: "Im Roman ist sie nur in seiner Erinnerung da, er träumt sich in Gefangenschaft zu ihr; im Drehbuch wurde sie eine gleichwertige Figur, die ihre eigene Geschichte hat. Das ist weniger schwermütig." Danielle sucht auf dem Meeresboden nach einem Ökosystem, das nichts zerstören kann.

Nun ist ein Film über islamistischen Terror generell keine leichte Kost. Hat sich das Thema verändert über die Jahre, die so ein Projekt braucht, um auf die Leinwand zu kommen? "Während des Drehs war das grauenvoll aktuell", sagt Wenders. "Das wurde ein echtes Problem - wie geht man damit um, dass das ständig in der Zeitung steht!?" In "Grenzenlos" wird viel geredet, und diesen Dialogen über den Sinn des Lebens zu folgen erfordert mehr Konzentration, als man von einem Publikum, dessen Emotionen hochkochen, erwarten kann. "Aber solche Themen verändern sich mit der Zeit. Über den IS machen wir uns aktuell keine Gedanken mehr - das war akuter, als Ledgard den Roman schrieb. Aber man braucht nicht zu glauben, das Thema Terrorismus habe sich erledigt", sagt Wenders.

Ledgard platzt in seinem Buch schnell damit heraus, dass James Moore tatsächlich ein Spion ist - das gehört zu den Dingen, die Wenders in der Schwebe lässt. So haben er und die Drehbuchautorin Erin Dignam es auch mit dem Arzt gemacht, den James dann bald trifft, er hat sich den Dschihadisten angeschlossen.

Diese Figur ist für Wenders "eine Schlüsselfigur". Der Arzt hat im Westen studiert, er ist derjenige, mit dem James reden kann: "Man muss sich da viel zusammenreimen, was diesen Mann umgetrieben hat - und warum er letztlich verzweifelt und scheitert. Er ist der Einzige, der James nahekommt. Man findet ihn mitunter sympathisch, und im nächsten Moment denkt man wieder: Der ist doch nicht ganz dicht! Er ist eine ganz gebrochene Figur."

Ein Regisseur wie Wenders muss auf die Blockbuster-Termine seiner Stars Rücksicht nehmen

Wenders hat noch eine Szene gedreht, in der dieser Arzt von den Visionen erzählt, die ihn in den Fundamentalismus getrieben haben. Dass die nicht in den Film gefunden hat, ist vielleicht ganz richtig so: So bleibt diese Figur in ihren Beweggründen verborgen, als stünde sie hinter einer Tür, die nur einen Spalt aufgeht und dann wieder zuschlägt. Dieser Mann hätte mit seinem Leben etwas anderes anfangen können; es gibt keine einfache Antwort auf die Frage, warum er nun der Arzt einer Terroristentruppe ist. "Wenn man versucht, solche Dinge auszuerzählen", sagt Wenders, "werden sie zu einem eigenen Film."

Eigentlich ist es ja ein Glücksfall, Leute wie Alicia Vikander und James McAvoy aus der Blockbuster-Liga zu bekommen für einen relativ kleinen Film mit einem schwierigen Thema. "Beide waren von unserem Drehbuch schnell überzeugt", sagt Wenders. "Das sind tolle Schauspieler, die werden auch gerne gefordert. Aber die Nähe zu den Blockbustern kann auch wie ein Fluch wirken. Einem Film wie ,Tomb Raider' möchte man mit seinem eigenen ,kleinen' Film nicht in die Quere kommen. Letztlich muss man auf die Blockbuster-Projekte der Darsteller immer Rücksicht nehmen, auch auf Terminverschiebungen, die da anfallen. Aber bei Alicia Vikander wusste ich noch gar nicht, dass sie Lara Croft spielen würde, als ich sie besetzt habe."

McAvoy , der auch viel in London Theater spielt, ist froh über jede Gelegenheit, bei jener Art von Kino dabei zu sein, die von den Blockbustern zunehmend erdrückt werden. Er hat die britischen Filmemacher auch schon gescholten, sie würden zu sehr aufs große amerikanische Publikum schielen. Nicht, dass er etwas gegen Blockbuster hätte - er findet nur nicht, ihnen sollte das ganze Kino gehören: "Ich glaube nicht, dass es ein Rezept gibt für einen guten Film - aber Filmstudios glauben oft an eine magische Formel", sagt er, während er für ein paar Minuten die kühle Luft in seinem Trailer genießt.

"Der Meister" hat McAvoy unter ein Foto von Wenders geschrieben, das er auf seinem Instagram-Account gepostet hat. "Ich kenne die Klassiker, ,Paris, Texas' und ,Der Himmel über Berlin', vor allem aber habe ich ihn getroffen und das Drehbuch gelesen - und mir ist lange nicht eine so erwachsene Herangehensweise an eine Liebesgeschichte begegnet. Ich wollte die Rolle sofort spielen. Ich habe aber nicht gedacht, dass ich sie auch bekomme."

Seine Belohnung, sinniert McAvoy im Halbdunkel, bekomme er nicht hinterher, wenn es um Einspielergebnisse und Kritiken geht, sondern nur während der Arbeit selbst. Aber jetzt muss er zurück ins Kloster, in die Haut von James Moore, der nicht weiß, was der Kommandeur als Nächstes mit ihm anstellen wird. Das mag einem, der kein Schauspieler ist, nicht wie eine Belohnung vorkommen - aber James McAvoy hat es sich so ausgesucht.

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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