Kino: "District 9":Immer auf die kleinen grünen Männchen

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Willkürlich werden in dem Science-Fiction-Film "District 9" die Aliens geschlachtet. Klar, sie könnten ja schließlich die Menschheit auslöschen.

T. Kniebe

Da ist er nun also, der Apartheid-Film mit den Aliens. Ein toller Ruf eilt ihm voraus: Überraschung des Jahres, sensationelles Genrekino aus Südafrika, vom "Herr der Ringe"-Mogul Peter Jackson väterlich protegiert und zum Kassenknüller in den USA befördert.

Wikus Van De Merwe (Sharlto Copley) stellt in einer Art Reality-Dokumentation die Arbeit der MNU vor. Als er sich mit der Alien-DNA infiziert und selbst zum Gejagten wird, erkennt er das wahre Regime, in dem er lebt. (Foto: Foto: Sony)

Integration der Außerirdischen?

Die Prämisse hat sich herumgesprochen: Zu den überwältigenden Gewalt- und Migrantenkatastrophen der Metropole Johannesburg kommt hier noch ein Problem mit Außerirdischen hinzu, die vor Jahren ohne Hoffnung auf Rückkehr gestrandet sind, in einer Ghetto-Township namens "District 9" dumpf vor sich hin vegitieren und sich in der brutalen Hackordnung der Rassen ganz unten einordnen müssen. Ein menschenunwürdiges Leben ist für diese Wesen, die wegen ihrer ausnehmenden Hässlichkeit auch gern "Shrimps" genannt werden, allemal noch gut genug.

Diesen eher schlichten Gedanken nun gnadenlos durchzudekliniereren, das wäre Hollywood - und es wäre kein besonders interessanter Film. Die Vision des jungen Writer-Directors Neill Blomkamp funktioniert aber gleich ganz anders: mit einer lässigen Inkonsequenz, die etwas höchst Afrikanisches und Vergnügliches hat - und die im Lauf des Films immer wieder für schöne Überraschungen sorgt. Die brutale, chromglänzende und von Dolby Surround-Bässen zugedröhnte Handlungslogik, die das Science-fiction-Genre seit Jahren so ermüdend banal macht, fehlt hier den Tätern genau wie den Opfern, den Helden genau wie den Schurken. Das wirkt befreiend.

Zum Beispiel das Faschisten-Syndikat, das in so vielen Kino-Dystopien den profitablen Jobs des Überwachens und Strafens übernommen hat: Hier heißt es Multi-National United (MNU), wird von Weißen kontrolliert und ist für alle möglichen Schweinereien verantwortlich, von geheimen Versuchen mit Alien-Waffen bis zu medizinischen Experimenten an den "Non-Humans". Aufmüpfige Slumbewohner dürfen von MNU-Wachen offenbar umstandslos erschossen werden, ebenso ist es gesetzlich verordnete Praxis, ganze Nester voller Jung-Aliens mit dem Flammenwerfer abzufackeln - im Fachjargon "Abtreibung" genannt. Dennoch: Eine reine Terror-Herrschaft betreiben die Menschen hier offensichtlich nicht.

Nebeneinander von Bürokratie, Idiotie, Rechtsbruch und Alien-Holocaust

Im ungenannten politischen Hintergrund des Films muss irgendwo doch noch der Geist von Nelson Mandela herumspuken, hält diese Gesellschaft die Illusion aufrecht, ein Rechtsstaat selbst für Aliens zu sein. So gibt es eine bürokratische Prozedur, bei der jeder Ghetto-Bewohner ein Formular unterschreiben soll, indem er der Umsiedlung in ein neues Hightech-Internierungslager zustimmt.

Die meisten "Shrimps", die damit konfrontiert werden, grunzen nur bösartig und schlagen nach dem Papier - was als Zustimmung gewertet wird. Ein etwas smarterer Alien aber bezeichnet die ganze Aktion als illegal, woraufhin den MNU-Agenten sofort die Argumente ausgehen. Dieses Nebeneinander von Bürokratie, Idiotie, Rechtsbruch und Alien-Holocaust muss zunächst verwirrend erscheinen. Bis man realisiert, dass die meisten Terror-Regimes der Geschichte ganz ähnliche gewachsen sind - krumm und widersprüchlich und schließlich monströs.

Der Idiot, der diesem Regime sein Gesicht leiht, heißt Wikus Van De Merwe (Sharlto Copley). Er ist weder brutal noch blutrünstig - und wahrscheinlich wurde er deshalb dazu ausersehen, in einer Art Reality-Dokumentation die Arbeit der MNU einem größeren Publikum vorzuführen. Wirklich bei Trost ist er allerdings auch nicht - launig kommentiert er zum Beispiel das lustige Popcorn-Geräusch, dass man im Hintergrund bei einer "Abtreibung" mit dem Flammenwerfer hört. Wikus muss sich schon selbst mit Alien-DNA infizieren, anschließend von der MNU gejagt werden und eine schreckliche Wandlung an sich beobachten, bevor er, Kafkas Gregor Samsa nicht ganz unähnlich, bittere Erkenntnisse über sich und seine Gesellschaft gewinnt.

Das eigentliche Geheimnis des Films aber sind die Außerirdischen. Sie erscheinen auf faszinierende Weise vollkommen impotent und begehrenswert machtvoll zugleich. Zu welchen Leistungen ihre Zivilisation fähig ist, zeigt von Anfang an ihr gigantisches Raumschiff, das seit Jahrzehnten manövrierunfähig über Johannesburg hängt und dort oben langsam verrostet. Man fand sie darin, verwarlost und halb verhungert, unfähig, sich selbst zu helfen.

Seither sind sie auf das Mitleid der Menschen angewiesen. Oder doch nicht? Rasch wird eingeführt, dass ihre Kraft locker ausreicht, ihre Feinde in Stücke zu reißen. Zudem haben sie äußerst avancierte Waffen mitgebracht, die jeden denkbaren Gegner mühelos pulverisieren könnten. Warum, fragt man sich da, lassen sie sich so viel von den Menschen gefallen, von der MNU und den nigerianischen Gansterbanden, die sie im Ghetto ausbeuten und unterdrücken? Warum haben sie nicht selbst längst die Macht in Südafrika übernommen?

Kraft der Alien-Gene verbunden mit der Zielstrebigkeit der Menschen

Die Antwort kann nur sein, dass sie auch schon auf ihrem Heimatplaneten wohl eher Sklaven waren, planlos und primitiv, unfähig zu strategischen Gewaltausübung und dazu, die Technik ihrer Forscher und Führer zu bedienen. Das ganze Finale des Films spielt dann mit der Idee, dass diese Dumpfbacken ihr Potential doch noch realisieren könnten: Einer ihrer Techniker lebt getarnt noch mitten unter ihnen, und Wikus, der mehr und mehr zum Mischwesen mutiert, könnte die Kraft der Alien-Gene endlich mit der Zielstrebigkeit der Menschen verbinden. Da drückt man ihm dann heftig die Daumen - und wünscht sich, seine trottelige Friedfertigkeit würde ihm nicht mehr dauernd in die Quere kommen.

Hollywood-Gefühle sind das, Rachephantasien, Imperialistenwünsche. Afrika erfüllt sie nicht, denn es ist längst weiter. Das große Reinemachen, die Endlösung, die finale Heimkehr - alles Unsinn. Alles muss weitergehen wie bisher: Chaos regiert, Menschen und Aliens werden nur noch enger zusammengefercht. Die Hoffnungen, wenn dann einer in sternklaren Nächten auf der Müllhalde sitzt und auf Erlösung aus dem Weltrraum wartet, sind so vage wie Hoffnungen für den ganzen Kontinent.

DISTRICT 9, USA 2009 - Regie: Neill Blomkamp. Buch: Blomkamp, Terri Tatchell. Kamera: Trent Opaloch. Mit: Sharlto Copley, David James, Jason Cope. Verleih: Sony Pictures, 112 Minuten.

© SZ vom 15.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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