Kino:Amerikaner in Paris

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Ethan Hawke, Julie Delpy und Notre-Dame in „Before Sunset“. (Foto: Warner)

Audrey Hepburn in "Charade", Julie Delpy und Ethan Hawke in "Before Sunset": Wie das Kino half, die Kirche zum Mythos zu machen.

Von Fritz Göttler

Es ist ziemlich klar, singt der verliebte junge Mann, und bewegt sich in behutsamen tänzelnden Schritten auf das Mädchen zu, es ist ziemlich klar, unsere Liebe ist da und sie wird bleiben: "It's very clear, our love is here to stay ..." Der wunderbare Song von George Gershwin, die zarte Liebesszene zwischen Gene Kelly, dem "Amerikaner in Paris", und der jungen Leslie Caron, im Filmmusical von Vincente Minnelli. Kelly hat Caron mitgenommen auf den Kai der Seine, es ist abendlich dunstig, am Ufer ist mehr zu ahnen als zu sehen die Kathedrale Notre-Dame. Sie ist, in ihrer majestätischen, unerschütterlichen Präsenz, Garant dieser Liebe. "Our love is here to stay, not for a year but ever and a day ..."

Notre-Dame ist natürlich meistens präsent, wenn Amerikaner im Kino nach Paris kommen - das sind zum Beispiel Audrey Hepburn und Cary Grant, die in Stanley Donens "Charade" 1963 Paris durchstreifen, von Notre-Dame bis zu den Bouquinisten, um den Tod von Hepburns Mann aufzuklären, aber auch Hugh Jackman war hier als Van Helsing im gleichnamigen Film von Stephen Sommers, 2004, der Vampire und andere Monster liquidiert - auf dem Dach von Notre-Dame erledigt er den infamen Mr. Hyde.

Notre-Dame ist Emblem in diesen Filmen für den Kampf zwischen dem Alten und dem Neuen, den Chimären von gestern und den Visionen von morgen, ein Mythos im Sinne, wie Roland Barthes es in seinen "Mythen des Alltags" konzipierte. "Was die Welt dem Mythos liefert, ist ein historisches Reales", schrieb er, "und was der Mythos zurückgibt, ist ein natürliches Bild dieses Realen ... Die Dinge verlieren in ihm die Erinnerung daran, dass sie hergestellt worden sind." Am meisten haben zur Mythisierung von Notre-Dame die Filme beigetragen, die nach Victor Hugos großem Roman entstanden, die Rolle des missgestalteten Glöckners war begehrt von Schauspielern, die fasziniert waren vom Extremen. Lon Chaney spielte den Glöckner im Stummfilm, Anthony Quinn in den Fünfzigern, neben Gina Lollobridiga, und auch eine Disney-Zeichenfilmversion gab es. Am bekanntesten ist wohl bis heute die Verfilmung von Wilhelm Dieterle, 1939, mit Charles Laughton als Quasimodo.

Der französische König lässt sich hier in einer Druckerei gegenüber Notre-Dame die neue Kunst des Buchdrucks zeigen, die schneller geht und nicht sehr teuer ist. Das Volk wird lesen und denken lernen. Der oberste Richter, der den König begleitet, ist skeptisch: Diese kleine Presse kann ein Königreich zerstören. Die Kathedrale, das ist die Vergangenheit. "Jeder Bogen, jede Säule, jede Statue, ist eine gemeißelte Seite unserer Geschichte. Ein Buch in Stein." Die Presse, das ist die Zukunft. Notre-Dame ist ein gedrungener Bau, aber sie verkörpert Freiheit. Die Zigeunerin Esmeralda (Maureen O'Hara) hat in der Kathedrale Zuflucht gefunden. Die Stadt will Zigeuner nicht in ihren Mauern, da lässt der Film anklingen, was in den Dreißigern in den faschistischen Ländern Europas geschah. Die Freistatt Notre-Dame ist umkämpft, ein Zufluchtsort wie die Freiheitsstatue in New York.

Noch ein Amerikaner in Paris: Ethan Hawke als Jesse in "Before Sunset", 2004, von Richard Linklater. Er trifft hier Céline (Julie Delpy) wieder, mit der er vor neun Jahren eine Nacht durch Wien zog. Nun machen sie eine Fahrt auf einem Seine-Boot, und als sie Notre-Dame passieren, erinnert sich Jesse an eine Geschichte vom Ende des Zweiten Weltkriegs, da sollten die abrückenden deutschen Besatzer Paris und seine historischen Stätten in Schutt und Asche legen. Aber der Mann, der dafür zurückgelassen wurde, konnte den Knopf nicht drücken. "Er hockte nur da, erschüttert, wie schön dieser Ort war." Cécile ist merklich berührt, durch Jesse sieht sie ihre Stadt mit neuen Augen. "Eine tolle Geschichte. Aber du darfst nicht vergessen, eines Tages wird Notre-Dame verschwunden sein." Man sieht die Kathedrale nur kurz, von unten, aus der Perspektive des Bootes, sie wirkt leicht und fragil, und scheint durch die Geschichte zum Schweben gebracht.

© SZ vom 18.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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