Kinderbuch:Die Flucht übers Meer

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Illustration aus Shakespeare Leatherdale: Stürmische Meere. Geschichten von jungen Bootsgeflüchteten. (Foto: N/A)

Verzweifelte Geschichten von Kindern aus allen Erdteilen, über ihre Fluchten.

Von Knud von Harbou

Es war eine gute Idee des engagierten Orlanda Verlags, fünf Schicksale junger Menschen auf der verzweifelten Flucht aus ihren Heimatländern vorzustellen. Sie flohen, um zu überleben, ihre Angst war so groß, dass sie das Risiko zu ertrinken ignorierten. Der 14-jährige Phu aus Saigon verstand seine Mutter nicht, als sie ihm sagte "Du musst weg von hier". Nach dem Ende des Vietnamkrieges 1975 besetzte Nordvietnam den südlichen Landesteil und es herrschte ein mörderisches Chaos, dem Jungen bot sich keine Zukunft. Mit letztem Geld bestach die Mutter einen Schleuser und Phu sah sich allein 14 Tage lang ohne Essen und Trinken mit anderen Flüchtlingen auf einem überfüllten Boot auf hoher See. Er überlebte 17 Piratenüberfälle, ehe er von der malaysischen Polizei in ein total überfülltes Lager deportiert wurde. Nur dank eines Flüchtlingshilfswerks konnte er in die USA ausfliegen und später studieren.

Schicksale dieser Art aus verschiedenen Erdteilen schildert das Buch ungemein eindrucksvoll. Es hilft, sich in die verschiedenen Umstände und Perspektiven hineinzuversetzen und nicht nur auf europäische Probleme fixiert zu bleiben. Egal, ob es sich um einen kubanischen Jungen handelt, dessen Eltern Gegner Castros waren, und um jeden Preis die siebenstündige Fahrt nach Florida mit einem völlig untauglichen Boot wagen wollten, nur durch Zufall überlebten, oder ein elfjähriges Mädchen aus Afghanistan, dessen Flucht nach Australien ein eigenes Buch wert gewesen wäre. An die dramatischen Umstände der Fluchten aus von Kriegen zerstörten Gesellschaften, vor Bürgerkriegen, autoritären Regimen haben wir uns gewöhnt, sie verdrängt. Doch wir sollten sie im Auge behalten, weil sie immer wieder die Ursachen der Flucht der jungen Menschen beleuchten. Ursachen, an denen unsere wohlhabenden Nationen durchaus Schuld sind und daher verpflichtet, in Not geratenen Flüchtlingen auf hoher See, zu helfen. Es müsste eine Selbstverständlichkeit sein, angesichts des Ausspruchs des kleinen Mohamed von der Elfenbeinküste, "wir drohen zu ertrinken, aber es ist mir egal".

Doch Realpolitik agiert anders. Auf dies Dilemma möchte das Buch hinweisen. Es ist gut illustriert, doch zwingt der Gegenstand zu einer Erläuterung der jeweils spezifischen Situation. Es dürfte schwierig sein, die Hintergründe der kubanischen Revolution zu vermitteln, Noch stärker gilt dies für die Flucht der 18-jährigen Jüdin Ruth, die Deutschland 1939 mit der legendären St. Louis in Richtung Havanna verließ. Es fragt sich aber, ob ein solches Beispiel der NS-Judenpolitik nicht eine glatte Überforderung so junger Leser darstellt. Statt dieser tragischen Geschichte (mit gutem Ausgang) hätte man eher ein zeitgemäßes Fluchtschicksal mit gelungener Integration hierzulande erzählen können.

Mary Beth Leatherdale / Eleanor Shakespeare: Stürmische Meere. Geschichten von jungen Bootsflüchtlingen. Aus dem Englischen von Barbara Küper. Orlanda Verlag , Berlin 2021. 62 Seiten, 19,50 Euro.

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