"Raven" von Kelela:Nichts anbrennen lassen

Lesezeit: 2 min

"Keine Lust auf Gespräche, keine Lust zu warten": Sängerin Kelela. (Foto: Justin French)

Die Sängerin Kelela, bislang bekannt für schlauen, feinsperrigen R'n'B, macht jetzt Musik für schummerige Clubs. Ein Glück.

Von Lennart Brauwers

Das Club-Leben ist ja zurück - die Dunkelheit, die Freiheit, die Zeitlosigkeit, das Treiben. In echt eh. Und langsam auch wieder auf Pop-Alben. Es wird hier also um Blicke gehen, um Verlangen und Berührung. Und damit um die vielen Möglichkeiten, die das Nachtleben bieten kann, gerade im Vergleich zur romantischen Beziehung. "Start with my hand on your skin, only a touch and we get into it", singt Kelela, nur zum Beispiel. Und: "I don't wanna have a conversation, I don't wanna wait." Keine Lust auf Gespräche, keine Lust zu warten. Mal besser nichts anbrennen lassen. Vorsichtig formuliert.

Im Vergleich zu ihrem gefeierten, vor gut fünf Jahren veröffentlichten Debüt "Take Me Apart" - Kelelas Gesang schon damals: ultra-selbstbewusst, die Produktion: next level - räumt die inzwischen 39-jährige Amerikanerin auf "Raven", ihrem erst zweiten Album (neben ein paar EPs), auch ansonsten viel Platz für den Dancefloor frei, für den Mut zur Stoik. Und für das Hypnotische, das es da braucht. Kaum etwas sticht so richtig heraus - und das im bestmöglichen Sinne. Verwackelte Drumcomputer-Grooves und blubbernde Synthesizer, die trotzdem verdächtig organisch klingen (haufenweise Produzenten haben mitgearbeitet; jeder hat eine Umarmung verdient), saugen den Hörer hinein in einen tranceartigen Tunnel. Alles fließt ineinander, immer wieder startet der nächste Track, ohne dass man es bemerkt.

"Raven" von Kelela. (Foto: Warp)

Musik für semi-beleuchtete Clubs also, House, Drum'n'Bass, UK Grime, aber fusioniert zu einem einheitlichen Etwas. Und Kelela, bislang eher bekannt für schlauen, kantigen, feinsperrigen R'n'B, singt mit ihrer weitreichenden Sopranstimme obendrüber, gelegentlich ziemlich frei. Was auch heißt, dass der Zuhörer vor allem bei den ersten Durchgängen selten genau weiß, was da gerade passiert. Das kann strukturlos wirken. Andererseits: Wer, bitte, will im Club schon an die Hand genommen werden? Wieso sollte man beim Exzess wissen wollen, wo genau man gerade ist - und wo es von dort hingeht? Orientierung: kontraproduktiv fürs Loslassen.

Wo Beyoncé protzt, lässt Kelela Platz, gibt ihren Songs Zeit, um in den Füßen anzukommen

Runterfahren darf man zwischendurch trotzdem mal, während atmosphärischen, fast schon Ambient-wolkigen Tracks wie "Holier". Raucherpausen, sozusagen. Höchstwahrscheinlich nicht mit Zigaretten.

Und dazu eben Kelelas exzentrischer Gesang, der die Musik aber gerade nicht dominiert und leitet, sondern sie eher durchfließt - womit das Ganze deutlich anders wirkt, als zuletzt etwa das Album der anderen, noch deutlich größeren R'n'B-Sängerin-gone-Dancemusic: Beyoncé und ihrer im vergangenen Jahr erschienenen House-Odyssee "Renaissance". Wo Beyoncé noch etwas protzt, wo ihre Songstrukturen und Arrangements noch mehr (und natürlich grandios) einer Pop-Logik folgen, lässt Kelela Platz, baut behutsam auf, gibt ihren Songs mehr Zeit, um in den Füßen des Konsumenten anzukommen. Das erfordert Geduld. Meistens wird die belohnt.

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Ganz besonders im Titeltrack, der sich voller Dramatik aufbaut und aufbaut und irgendwann dann zum hüpfenden IDM-Orgasmus wird. Passt, dass sie beim experimentierfreudigen Electronic-Label Warp Records unter Vertrag steht. Die Platte ist denn auch radikal in ihrer Subtilität. Der poppigste Song ("Enough For Love") kommt erst gegen Ende und daran anschließend greift Kelela dann im wirklich allerletzten Track ("Far Away") noch mal die Gesangsmelodie aus dem Opener ("Washed Away") auf. Und siehe da: Aus der Platte wird ein Kreis. Das mag auch keine revolutionäre Art mehr sein, ein Album zu beenden, funktioniert hier aber enorm schön. Die großartigste Club-Musik fühlt sich schließlich unendlich an.

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