Kampfansage:Ausloten von Grundrechten

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Das "Zentrum für Politische Schönheit" in den Kammerspielen

Von Christiane Lutz, München

Die schwarze Farbe im Gesicht muss bei Philipp Ruch auch an diesem Abend sein. Eine Kampfansage als Erkennungszeichen, die Ruch und seine Mitstreiter des Zentrums für Politische Schönheit (ZPS) bei öffentlichen Auftritten tragen. In der Kammer 2 sprach Ruch, Gründer des ZPS, mit Andreas Zielcke, ehemaliger Chef des SZ-Feuilletons, über die Kunstfreiheit. Das Zentrum ist bekannt durch seine provokativen Aktionen, die als politische Kunst im Namen der Menschenrechte verstanden sein wollen. "Grundrechte, die wir nicht nutzen, verfallen schnell", sagt Ruch. Daher nutzt er sie, man könnte auch sagen, er fordert den Rechtsstaat heraus, testet die Grenzen der Kunstfreiheit immer wieder.

Die letzte Aktion war so größenwahnsinnig wie genial: Im November 2017 baute das ZPS das Berliner Holocaust-Mahnmal vor dem Haus des AfD-Politikers Björn Höcke nach. Man habe ihm die Chance geben wollen, vor dem Mahnmal nieder zu knien. Was dann kam, war genau so verrückt: Die Staatsanwaltschaft Gera ermittelte eineinhalb Jahre gegen das ZPS wegen "Bildung krimineller Vereinigungen". "Wir wussten, dass sie sich an uns verheben würden", sagt Ruch mit Genugtuung. Die Ermittlungen wurden eingestellt, der Staatsanwalt entfernt.

Grenzen testen schön und gut, sagt Zielcke, doch das koste ja so Einiges: Zeit, Nerven, Steuergelder. "Wir müssen tun, was wir tun müssen", sagt Ruch. Er muss das ernst meinen, sonst brächte er sich selbst nicht heikle, bisweilen gefährliche Situationen. In die Türkei kann er nach einer Aktion gegen Erdoğan nicht mehr reisen und immer wieder wird ihm gedroht. Hoffnung empfindet Ruch dennoch. Immer dann, wenn er Menschen mitreißt. So wie die Gründer von "Sea Watch", der zivilen Seenotrettung von Flüchtlingen, die vom ZPS inspiriert waren.

Weil er Akte politischer Schönheit, vor allem gegen Rechts, vermisste, gründete Ruch vor zehn Jahren überhaupt erst das ZPS. "Was wäre denn solch ein Akt?" fragt Zielcke. Ein Akt politischer Schönheit wäre gewesen, wenn Angela Merkel zum Tag der deutschen Einheit 2015, als tausende Geflüchtete kamen, die freiwilligen Helfer nach Berlin geladen und ihnen gedankt hätte, sagt Ruch. Er macht keinen Hehl daraus, dass er den Politikbetrieb verachtet, im Gegenteil, er gefällt sich als eloquenter Quengler. Geschenkt. Philipp Ruch mag großmäulig auftreten, vermutlich aber braucht es eine gewisse Überheblichkeit, um sich mit den Höckes dieser Welt anzulegen. Irgendjemand muss es ja machen.

© SZ vom 08.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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