Junges Theater:Greifbare Bedrohung

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Gewalt richtet sich auch gegen Mitglieder der eigenen Gruppe: Sandro (Christopher Löschhorn) rüffelt den am Boden liegenden Robbie (Philipp Staschull). (Foto: Konrad Fersterer)

Das Resi zeigt mit "Wir sind jung. Wir sind stark" eine Bühnenfassung des gleichnamigen Films. Thematisiert wird die Befindlichkeit einer Gruppe von Jugendlichen, die sich zunehmend radikalisieren

Von Barbara Hordych

Die Gretchen-Frage stellt in diesem Stück die toughe Miriam: "Bist du rechts oder links?" will sie unvermittelt von ihrem ehemaligen Klassenkameraden Stefan bei einem zufälligen Wiedersehen wissen. Der windet sich, reagiert auf die "Glaubensfrage" ausweichend, ganz wie weiland Faust auf Margaretes Frage: "Nun sag, wie hast du's mit der Religion?". Damals wie heute geht es um Inhalte, deren Preisgabe dem Befragten unangenehm sind - "Warum willst du das wissen?" wehrt denn auch Stefan ab, um dann, als Miriam keine Ruhe gibt, aggressiv zu behaupten: "Ich bin normal!". Doch "normal" sind die Jugendlichen in der neuen Produktion des Jungen Resi, "Wir sind jung. Wir sind stark" mitnichten. Oder doch?

"Spannend ist das natürlich, nachzuvollziehen, wie jemand auf einmal so radikalisiert wird, zum Täter wird, obwohl er einmal eine gute Basis hatte", sagt Sebastian Jehkul während einer Probenpause im Marstallcafé. Der 22-jährige spielt die Hauptrolle des 17-jährigen Stefan in der Theaterfassung des gleichnamigen Films, für dessen Drehbuch Regisseur Burhan Qurbani und Martin Behnke jüngst im Januar den Bayerischen Filmpreis erhielten. Stück wie Film behandeln die ausländerfeindlichen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992: Ein außer Kontrolle geratener Mob wütet im August mehrere Tage vor einem Ausländerwohnheim. Es fliegen Steine, dann Brandsätze, das Haus wird in Flammen gesetzt, die Situation eskaliert. Inmitten der tobenden Menge befindet sich eine Gruppe von Jugendlichen, die sich vom Beifall der Masse und der plötzlichen Aufmerksamkeit der Presse zu Taten hinreißen lässt, "die viele von ihnen einzeln bestimmt nicht begehen würden", sagt Nina Vieten (19). Sie spielt die 17-jährige Ramona, ein eher schüchternes, randständiges Mädchen, das über ihre Freundin Jennie Anschluss an die Gruppe sucht, die ansonsten nur aus Jungs besteht. "Früher fühlte ich mich sicher. Gut, ich musste eine Stunde anstehen, um Äpfel zu kaufen, aber das ging allen so. Jetzt gibt es Erdbeeren. Und wir sind frei. Aber frei sein, heißt allein sein", bricht es aus ihr heraus.

Verunsichert sind viele in dieser Gruppe. Allen voran Philipp, der sich deprimiert an die Zeit von vor zwei Jahren erinnert, als er noch gemeinsam mit seinem Vater und seinem Bruder um fünf Uhr morgens aufstehen musste, um zur Werft zu gehen. Jetzt ist er ohne Arbeit, muss nirgendwo mehr hin. "Und was machen wir morgen?" fragt er ratlos in die Gruppe. Philipp ist es dann, dessen Selbstmord die Radikalisierung seines Freundes Stefan vorantreibt. Der weigert sich zunächst, die Jacke des Toten zu übernehmen, die ihm Tabor, der Anführer der Gruppe, mit den Worten überreicht: "Er war ein Held, er war ein Märtyrer!". "Wieso das? Er war ein Selbstmörder!" wagt da noch einer in der Gruppe zu widersprechen. Doch die Umwertung der Werte vollzieht sich erschreckend schnell. Denn Tabor (den Linus Scherz überaus treffend mit ausreichend sadistisch-gewalttätiger Energie gestaltet) hat schon längst einen Sündenbock für die allgemeine Misere, die private wie berufliche Perspektivlosigkeit seiner Clique gefunden: "Die Zigeuner und die Schlitzaugen" nehmen ihnen seiner Ansicht nach die Jobs weg - so dass einem wie Philipp nur der Freitod bleibt.

Ein Strudel entsteht, der auch Stefan mitreißt. "Ihm bricht so vieles weg: nicht nur sein bester Freund ist tot, schon vorher hat die Mutter die Familie verlassen, und er hat keine richtige Verbindung mehr zu seinem Vater", sagt Sebastian Jehkul. Er verleiht seiner Figur eine eindringliche Authentizität, die überhaupt die ganze Inszenierung von Anja Sczilinski auszeichnet. Deren besondere Qualität sicherlich darin besteht, dass die Rollen der Jugendlichen auch von weitgehend gleichaltrigen Darstellern verkörpert werden. Wichtige Erwachsenenfiguren hingegen wie Stefans alleinerziehender Vater Martin, ein unentschieden hin-und-her-lavierender Lokalpolitiker, oder sein politischer Widerpart, der auf Handeln drängende Fraktionsvorsitzende Peter, übernehmen die Schauspieler Stefan Murr und Arnulf Schumacher.

Aus 86 Bewerbungen hat Leiterin Sczilinski die Mitwirkenden der Intergroup ausgewählt. "Ich brauchte schon Laien mit Talent, sonst wäre das Gefälle zu den Profidarstellern zu groß", erklärt sie. Sebastian Jehkul dürfte ein solches Talent sein: Von der Bayerischen Theaterakademie August Everding hat er bereits eine Zusage bekommen; trotzdem packt er nach der Probe rasch seine Sachen zusammen, um nach Salzburg zu fahren. Dort ist er in die Endrunde der Aufnahmeprüfung am Mozarteum gekommen. Doch egal, was passiert, eines steht fest: Bei der Premiere wird er derjenige sein, der den Molotowcocktail auf das Wohnheim wirft.

Wir sind jung. Wir sind stark , Fr., 5. Feb., 20 Uhr (Premiere), weitere Vorstellungen am So., 7., Do. 25. und Fr. 26. Feb., je 20 Uhr, Marstall, Marstallplatz 4, 21851940

© SZ vom 05.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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