Jugendliteratur:Redebedarf

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Sandra Hoffmann lebt mit ihrer Familie in München. Im Literaturhaus unterrichtet die Autorin auch kreatives Schreiben. (Foto: Peter Hassiepen)

Die preisgekrönte Münchner Autorin Sandra Hoffmann stellt ihren Jugendroman "Das Leben spielt hier" in der Monacensia vor. Mit sprachlicher Intensität wendet sie sich gegen allzu lautes Schweigen

Von Barbara Hordych

Es ist diese charakteristische Bewegung von Peer, die Ona besonders anrührt: Er wischt sich mit den Fingern die blonden Haare aus der Stirn, gleichzeitig bemüht, mit dem Handballen die Narbe zu verbergen. "Vielleicht sandte diese sichelförmige Naht an seiner Schädelseite so etwas wie Verbindungswellen über den heißen Sand", erinnert sich Ona an die erste Begegnung mit dem Surfer-Jungen am Strand von Vieux. Der wiederum hat sie erst ein Jahr später, bei der erneuten Begegnung der Studienanfänger in einem Park in München, wirklich wahrgenommen. Ona und Peer, genannt Pe, sind die Protagonisten in Sandra Hoffmanns Jugendroman "Das Leben spielt hier", den die Münchner Autorin am Montag in der Monacensia vorstellt.

So wie es in Peers Leben diesen einschneidenden Abend gibt, an dem sein älterer Bruder Dani mit dem Auto verunglückte und auch beinahe ihn mit in den Tod gerissen hätte, gibt es auch in Onas Leben einen "schlimmsten Tag", an dem ihre Mutter an einem Herzinfarkt starb. Ona ist sich sicher, dass sie Peer deshalb getroffen hat. "Man musste nach einem ähnlichen Erlebnis, das schlimm war, nicht unbedingt ähnlich reagieren, aber ganz tief drin sitzt das Erlebnis, und vielleicht funkt es Morsezeichen oder so etwas über die Augen hinaus in die Welt; über die Stimme oder einfach über die Bewegungen, die man macht. Ona ist sich sicher." Mit ihren Verlusten gehen beide sehr unterschiedlich um. Während Ona bekennt, dass der Tod ihrer Mutter vermeidbar gewesen wäre, "hätte sie es ein wenig genauer genommen mit ihrer Gesundheit", hat Peer den genauen Hergang der Ereignisse in jener folgenschweren Nacht noch nicht einmal seinen Eltern oder dem Psychiater Potasche ausführlich erzählt.

"Vielleicht kann man das als den Urgrund meines Schreibens bezeichnen: Eine Sprache für etwas zu finden, über das geschwiegen wird", sagt die 1967 geborene Autorin. Bereits ihr vorangegangenes, autobiografisch gefärbtes Erinnerungsbuch "Paula" kreiste mit wahren Begebenheiten und fiktiven Szenen um das laute Schweigen, das drei Frauen-Generationen in einem emotionalen Gefängnis hält. "Ich bin in einem Haus mit einer schweigenden Großmutter aufgewachsen, die nicht über sich gesprochen hat, nicht erzählt hat, wer der Vater ihrer Tochter, also meiner Mutter ist", sagt Hoffmann über den Hintergrund ihres 2018 mit dem Hans-Fallada-Preis ausgezeichneten Romans. "Mit dieser Biografie gehöre ich der Generation der Kriegsenkel an, die mit dem Erbe des Nicht-Sprechens zu tun hat. Dabei ist Sprechen eine große Chance für ein gutes Leben".

In ihrem neuen Buch sind es Peer und Ona, die sich aufgrund des verzehrenden Schweigens dem Endpunkt ihrer zarten Liebesgeschichte nähern: Ona wirft Peer vor, sich keine Wut auf seinen Bruder Dani zu erlauben, dessen fahrlässiges Verhalten um ein Haar auch ihn, Peer, umgebracht hätte. Peer wiederum fühlt nur Trauer. Wut? Vielleicht auf seine Eltern, die ihm sprachlos am Esstisch gegenübersitzen, ihm das Gefühl vermitteln, dass "der falsche Sohn" den Autounfall überlebt habe.

"Die Frage ist doch, in welchem Moment gibt es Abbrüche in Beziehungen?", sagt Sandra Hoffmann. Ihrer Erfahrung nach passiere das in Situationen, in denen es zu Missverständnissen komme, keine Verständigung mehr möglich sei. Diese lebensphilosophische Überzeugung zieht sich durch die in dichten, prägnanten Sätzen geschilderten Szenen zwischen Ona und Peer. Sie findet sich aber auch in dem Schicksal des Mittfünfzigers Kriedel wieder. Der zunächst nur in der theoretischen Anschauung vom Surfen begeisterte Buchhändler leidet durch den unerklärten Weggang seiner Freundin, von dem er nur zögerlich zu erzählen beginnt. "Sobald er sich Matilda lebendig genug gesprochen hatte, wurde auch Kriedel wieder lebendig, als ob sie das Herz war, das in ihm schlug", konstatiert Ona. Mit ihrer Klarheit wird Ona nicht nur zur Treibkraft ihrer eigenen Liebesgeschichte, sondern auch für die des verschlossenen Kriedel.

"Es hat mich einfach sehr gereizt, diese sehr starke, sehr analytische und präsente Mädchenfigur zu erschaffen. Sie muss nicht erst 30 oder 40 Jahre alt werden, um so eigenwillig und mutig zu sein." Begleitet von seinen jungen Freunden macht Kriedel sich tatsächlich auf den Weg nach Nordspanien, um Matilda zu suchen. Für ihn ein existenzieller Schritt - vielleicht ebenso mutig wie der, sich das erste Mal auf ein Surfbrett zu wagen.

Das Leben spielt hier , Buchpremiere mit Sandra Hoffmann, Mo., 23. Sep., 19 Uhr, Monacensia, Maria-Theresia-Straße 23

© SZ vom 21.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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