Jürgen Habermas:Menschenrechte und Marillenknödel

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Vor der Apokalypse wird noch mal richtig aufgetischt: Essen, Trinken, Lachen mit Jürgen Habermas.

Michael Krüger

Vieles deutet darauf hin, dass die Katastrophiker die letzten Realisten sind. Ihr fundamentaler Pessimismus hat die besten Argumente zur Hand, wenn es darum geht, eine solide Einschätzung zur Lage abzugeben: Die demnächst zehn Milliarden Menschen sind zu viele für einen Planeten, der mit den Wünschen und Bedürfnissen von einer Milliarde schon überfordert wäre. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis dieser Planet sich so kräftig schüttelt, dass wir von ihm wegfliegen wie lästige Insekten. Die sanften Zuckungen, wie wir sie jetzt schon erleben, sind nur die seismischen Vorboten eines Weltzerfalls, der - glaubt man den glaubwürdigen Katastrophikern - unumkehrbar geworden ist.

Jürgen Habermas feiert am 18. Juni seinen 80. Geburtstag - neben philosophischen Gesprächen bleibt noch genug Zeit zum Essen und Trinken. (Foto: Foto: Regina Schmeken)

Unter diesen Umständen ist es nicht verwunderlich, dass sich überall kleine konkurrierende Gruppen bilden, die ihre homöopathischen Heilkünste zur Rettung der Welt anbieten: Bitte alles etwas kleiner, glaubwürdiger, überschaubarer, gerechter, einfacher, klüger, menschlicher. Jeder, der guten Willens ist, stimmt ihnen aus vollem Herzen zu, nur bitte nicht gerade jetzt, hier, vor der Wahl, in Deutschland, Europa, sondern erst einmal da, wo ich gerade nicht bin. Mit der Rettung der Welt soll immer da begonnen werden, wo der Einzelne nicht ist.

Ich neige dazu, den Katastrophikern recht zu geben. Da man als ein für seinen Lebensunterhalt, für Rente und Krankenversicherung schuftender Zeitgenosse und Bürger nicht ständig in das pulsierende Herz des Untergangs blicken kann, sucht man sich Menschen, in deren Umgebung die "Lehre des Zerfalls" nicht zur täglichen Lektüre gehört. Ich gehe also zu Ute und Jürgen Habermas, die in der Nähe wohnen. Bevor man Gelegenheit hat, das Gespräch auf die Apokalypse zu lenken, wird erst einmal gegessen und getrunken, wie es sich für zivilisierte Menschen gehört, also mehr als genug. Der Hausherr persönlich lässt es sich nicht nehmen, immer neue Köstlichkeiten aus der Küche zu holen, und da meine Erziehung mich dazu angehalten hat, den Teller leer zu essen und das Glas nicht halbvoll zu lassen, wird ständig nachgeliefert, als unterhielten die beiden einen direkten Draht zu dem Teil der Welt, wo angeblich Milch und Honig fließen.

Jürgen Habermas kommt entweder immer gerade von wo zurück oder bereitet sich darauf vor wegzufahren. Chicago, Arabien, China, Köln, Barcelona, gelegentlich sogar Berlin. Wenn er von seinen Reisen erzählt - und er ist ein hervorragender Erzähler -, kommt man zu der Auffassung, es gäbe überall auf der Welt anständige Menschen, wenn auch nicht allzu viele. Am meisten wundert ihn, dass alle seine Bücher gelesen haben. Auch in China? Da ganz besonders.

Wenn er nicht unterwegs ist, schreibt er, auch wenn man bei der Fülle der Veröffentlichungen den Verdacht nicht los wird, dass er auch auf Reisen arbeitet. Meistens schreibt er für etwas, für die Menschenrechte, für eine gerechte Gesellschaft, für den Erhalt der Zeitungen, für die Durchsetzung der Vernunft, für Europa. Da er alles im Kopf hat und nichts vergisst, schreibt er gelegentlich auch gegen etwas. Dann kann er ungemütlich werden. Keiner kann sich so schön aufregen wie er, besonders mündlich. Wenn er sich dann in seinen dichten weißen Haarschopf fährt und daran reißt, bekommt man eine ungefähre Vorstellung davon, was er mit dem Menschen anstellen würde, den er gerade auf dem Kieker hat. Aber bevor es brenzlig wird, beginnt er zu lachen. Da Philosophen wenig zu lachen haben, bleibt das philosophische Lachen durch ihn auf der Welt! Verglichen mit seinem ist Gargantuas Lachen ein müdes Gekicher. Ute: Nicht so laut, es muss ja nicht die ganze Welt hören, was du von ihr denkst!

Was denkt er denn von der Welt? Auf vertrackte Weise glaubt er schon daran, dass sich - irgendwie und trotz aller Rückschläge - die Vernunft durchsetzen wird. An ihm soll es jedenfalls nicht liegen, dafür rackert er sich ab. Ratlosigkeit und Trägheit sind ihm zuwider, auch Aufschneiderei, elitäres Gehabe. Seit einigen Jahren ist ihm Melancholie nicht mehr ganz fremd, was mich beruhigt. Die verlorene Harmonie jedenfalls und das ewige Reich des universellen Glücks sind für immer dahin. An dem Rest muss gearbeitet werden, die Apokalypse wird vertagt.

Dann gibt es Nachtisch. Auch ein Gespräch über Marillenknödel gehört zur kommunikativen Kompetenz.

Wenn man wegfährt, steht er - aufrecht, den Kopf leicht vorgebeugt - unter der Tür, als sei er wie Platon aus der Höhle getreten. Über ihm der bestirnte Himmel, neben ihm Ute.

Auf Wiedersehen, bis bald. Und herzliche Wünsche zum Geburtstag!

Der Autor ist Schriftsteller und Leiter des Carl Hanser Verlages.

© SZ vom 18.06.2009/bey - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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