Zum Tod der Sängerin Jessye Norman:Eine singende Streiterin für Frauen- und Menschenrechte

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2013 sang Jessye Norman beim 50. Jahrestag des Marsch auf Washington vor dem Kapitol in Washington. (Foto: REUTERS)

Sie war eine der größten Opern-Ikonen ihrer Zeit und haderte doch mit dem Klassikbetrieb. Nun ist Jessye Norman, die es wie keine andere verstand, Leid in Klänge zu übersetzen, gestorben.

Nachruf von Reinhard J. Brembeck

"Hier hinein," singt klar verständlich und mit warmer schlanker Stimme die junge Frau, "man sieht den Weg nicht." Arnold Schönbergs dreiviertelstündige "Erwartung" ist ein von einem riesigen romantischen Orchester begleitetes Solo für eine Frau, die allein nachts durch einen Wald irrt und dort auf die Leiche ihres Geliebten stößt. Hat sie ihn selbst ermordet? Nichts ist hier offensichtlich, alles brodelt im Halb- und Unbewussten. Das expressive, sich tief in die Unbewusstheiten der Erotik verirrende Stück, ist nur selten zu hören. Die schönste und packendste Aufnahme der "Erwartung" hat vor vierzig Jahren erstaunlicherweise ein All-American-Team gemacht. James Levine, damals noch Chef der legendären New Yorker Met und noch nicht massiven Missbrauchsvorwürfen ausgesetzt, dirigiert detailversessen flüssig, und Jessye Norman singt: völlig akzentfrei, mal flamboyant (kein Wort trifft die lodernde Attacke ihres Singens besser), mal träumerisch, mal fordernd und aggressiv.

Hier, beim Avantgardisten und Außenseiter Arnold Schönberg, ist Jessy Norman, die jetzt im Alter von 74 Jahren in New York gestorben ist, ganz daheim. Auch, weil sie selbst als Außenseiterin begann, aber früh schon zu einer der bewundertsten Ikonen der Klassik wurde, die weit über die engen Grenzen dieser ihrer Kunstgattung hinaus bekannt war und ist. Nicht zuletzt, weil sie auch Gospels und Jazz (gern Duke Ellington) sang und weil sie sich, die immer derart agil singen konnte, in ihrer zunehmend statuarischen Bühnenpräsenz als schwarze Göttin des Gesangs inszenierte.

Geboren wurde Norman 1945 in den amerikanischen Südstaaten, in Augusta. Rassendiskriminierung war da an der Tagesordnung, die Eltern, Amateurmusiker, engagierten sich für die Bürgerrechte. Norman war zehn Jahre alt, als mit Marian Anderson überhaupt erstmals eine schwarze Sängerin an der Met, New Yorks legendärem Opernhaus, auftreten konnte. Jene Sängerin, die dann bei der Amtseinführung von John F. Kennedy die Nationalhymne sang und vielen schwarzen Sängerinnen in den USA die Karriere erleichterte: Shirley Varrett, Leontyne Price und eben auch Jessye Norman. Anderson beeindruckte Norman denn zutiefst, genauso die grandiose Rosa Ponselle. Sie lernte aber auch bei Pierre Bernac, einem der ganz großen Baritonsänger, der gleicherweise im französischen wie im deutschen Lied überzeugte und Normans grundsätzlich an den Finessen des Lieds orientierten Operngesang geprägt hat. Und die legendären samstäglichen Live-Übertragungen aus der Met machten sie, während sie daheim ihr Zimmer aufräumte, mit der Oper und ihrem dort traditionell in den Originalsprachen gesungenem Repertoire vertraut.

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Entscheidend für ihre Karriere aber wurde dann das Klassikparadies Deutschland. In München gewann sie 1968 den ersten Preis beim ARD-Musikwettbewerb, im Jahr darauf debütierte sie in Berlin als Elisabeth (auch sie eine Außenseiterfrau) in Richard Wagners Künstler- und Sexualneurosenoper "Tannhäuser". Man höre sich an, mit welch lebenshungrigem Aplomb Norman Elisabeths Auftrittsarien "Dich, teure Halle, grüß ich wieder" singt. Da ist eine junge selbstbewusste Frau zu hören, der alle außergewöhnlichen Möglichkeiten des Lebens und der Liebe offen zu stehen scheinen. Nur einen Akt später aber, ist es damit vorbei. Im Gebet der Elisabeth sind Normans nach wie vor sicher und brillant gesungenen Hochtöne nur mehr Fassade. Schnell versinkt Norman in abgedunkeltem Grübeln, das hörbare Atmen verrät die Not einer zutiefst verletzten und enttäuschten Frau. Ihr heller und lichter Sopran wird dunkler und düsterer, er wird zum Medium des Schmerzes und Leids. In keinem Moment aber gibt Norman die Strenge des Metrums und der Form auf. Immer bleibt sie kontrolliert, gestattet sich und ihren Zuhörern keine Momente der Sentimentalität. Diese extreme Beherrschtheit des Singens ist typisch für Norman und sicherlich auch die Folge ihrer sehr hart erarbeiteten Karriere.

Sie gab den am Leben Gescheiterten eine Stimme

Erst 1983 debütierte Norman an der Met. Davor sang sie ihre großen Rollen in Europa, und sie sang immer nur in Sprachen, die sie verstand: Amerikanisch, Deutsch, Italienisch, Französisch. So an der Mailänder Scala 1972 die schwarze nubische Königstochter Aida in der gleichnamigen Oper von Giuseppe Verdi. Da verdichtete sie in ihrer zwischen Härte, Wut, Verzweiflung und Liebesutopie changierenden Stimme das Schicksal einer fern der Heimat internierten und aller Hoffnung beraubten Kriegsgefangenen. Auch die Cassandre in Hector Berlioz` "Les Troyens" reizte sie: Wieder eine Frau, die, von allen unverstanden, ihre große Liebe einbüßt und am Leben scheitert. Wie nur noch Maria Callas vor ihr gab Norman vor allem jenen Opernheldinnen ihre Stimme, die von der Gesellschaft zerstört werden und am Leben scheitern. Die Opernliteratur ist voll solcher Verzweiflungsfrauen. Deren Schicksale muten im Gegensatz zu denen der Operntenorhelden nach wie vor realistisch aus dem heutigen Alltagsleben gegriffen an. So war Norman singend eine Streiterin für die Frauen- und Menschenrechte.

Das Renommee der Sängerin wuchs bald schier ins Maßlose. Norman-Auftritte wurden zu Kultereignissen, sie aber verlegte sich immer mehr auf den Liedgesang. So gelang es dem Eigenbrötler und Magier der Langsamkeiten Sergiu Celibidache, 1992 Chef der Münchner Philharmoniker, Norman für die "Vier letzten Lieder" von Richard Strauss zu verpflichten. Der Stadtrat musste den für dieses Konzert erhöhten Eintrittsgeldern extra zustimmen, die Zusammenarbeit der beiden Kunstfanatiker war nicht einfach, der Triumph riesig. Längst hatte Norman weniger und weniger Oper gesungen, eine von André Heller eingerichtete Produktion von Schönbergs Erwartung", kombiniert mit Francis Poulencs "La voix humaine" (ebenfalls der Monolog einer verlassenen Frau) 2005 war einer der letzten gefeierten Bühnenhöhepunkte.

Norman war nie nur ein Star. Sie kämpfte immer um die Kunst, die im Opern- und Klassikbetrieb so schnell im schönen Schein ertrinkt. Sie wurde deshalb nicht nur von ihrem Publikum und den Kritikern gefeiert. Die schönste Hommage an Jessye Norman gelang dem Filmemacher Jean-Jacques Beneix mit seinem Kultfilm "Diva" (1981), der eine am Kunstbetreib und den Medien zweifelnde Diva zeigt und melancholisch im Pariser Châtelet endet. Dort inszenierte sie zwanzig Jahre später Bob Wilson, der Meisterregisseur erlesener Bühnenentschleunigung, in dem Liederzyklus "Winterreise" von Franz Schubert, Yves Saint-Laurent liefert dazu wallende Gewänder in Blau. Wilson lässt riesige Pausen zwischen den Stücken, Norman schreitet über die Bühne, thront auf einem Sessel, skandiert gern leise, schärft einzelne Silben heftig an. Mit dem Status eines Stars war diese radikal mit der Tradition brechende Lesart dann nicht mehr zu vereinen, vor allem der Regisseur wurde heftig ausgebuht. Aber Norman machte klar, wie sehr ihre Winterreisende vom Weg abgekommen ist, wie auf den Tod einsam und verloren sie ist. Fast 20 Jahre nach diesem Ereignis lässt die Erinnerung daran den Berichterstatter erschauern. Das Leid schonungslos in Klänge und Töne übersetzen, darin bestand die singuläre Kunst der Jessye Norman.

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