Ausstellung:Die Kunst der Konfrontation

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Lichtinstallation von Louise Bourgeois und Jenny Holzer an der Alten Universität Basel. (Foto: Mark Niedermann, (c) 2022 Jenny Holzer, member Artist Rights Society (ARS), NY, VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

In Basel ist das Werk der Bildhauerin Louise Bourgeois zu sehen - kuratiert von Jenny Holzer. Warum das eine Sensation ist.

Von Kito Nedo

Die klobige Höllenmaschine, die derzeit im Untergeschoss des Kunstmuseums Basel steht, wirkt durch ihre schiere Größe respekteinflößend. Ein pechschwarz lackierter Eisenkolben auf Schienen fährt langsam, leise brummend und in einer nicht endenden Bewegung in ein ebenso schwarzes Gehäuse und wieder heraus. Die mechanische Installation strahlt untergründig Gewalttätigkeit aus, zeugt aber auch von einem gewissen Humor. "Twosome" taufte Louise Bourgeois ihr Werk von 1991. Es kommt daher wie ein Mittelding aus Dampflokomotive und U-Boot. Im Inneren des Objekts rotiert eine rote Warnleuchte. Zweisamkeit - ein undefinierbares Ding mit Verletzungsgefahr?

Kuratiert hat die Ausstellung die 1950 geborene US-amerikanische Künstlerkollegin Jenny Holzer, die mit Bourgeois eine Freundschaft verband. Es ist selten, dass eine weltberühmte Künstlerin sich sozusagen in aller Öffentlichkeit am Werk einer anderen weltberühmten Künstlerin zu schaffen macht. Auch weil man erwarten kann, dass sie weniger Zurückhaltung, weniger Skrupel hat als eine Kuratorin, eine Kunsthistorikerin oder eine Ausstellungsmacherin. Die Hommage, die eine Retrospektive auch sein kann, wird zur Konfrontation.

Ihre eigene Kunst beschrieb Holzer einmal als "Text in Verbindung mit Licht und dessen Wirkung auf die Menschen". Und obwohl von ihr keine Kunst gezeigt wird, ist Holzers eigene Sprach-Affinität genauso wie die Risikofreude im Umgang mit der Kunst ihrer älteren Kollegin spürbar, die ihrerseits nicht vor der Intensität der eigenen Gefühlswelten zurückschreckte.

Zunächst fällt auf, dass Holzer entgegen aller musealen Gepflogenheiten auf Bildbeschriftungen und Vitrinen verzichtet. So gelingt es ihr, die Kunst von Bourgeois für einen kurzen Moment der Geschichtlichkeit zu entwinden und noch einmal ganz gegenwärtig wirken zu lassen. Wie eine Fährte verteilte Holzer die Werke von Bourgeois zudem im ganzen Museum, wo sie stellenweise wie feministische Kommentare auf die Kunstgeschichte wirken. So wird etwa eines der Paradewerke der Basler Sammlung, das lyrisch-schwelgerische Cézanne-Gemälde "Fünf Badende" (1885/1887) in der ständigen Ausstellung von einer großen Bourgeois-Marmorplastik regelrecht zum stummen Duell gefordert.

Im Fahrstuhl zur Ausstellung im obersten Stockwerk des Museums scheint es zu spuken. Ein französisches Kinderlied wird gesungen. Es ist die Stimme von Bourgeois, die in ihrer Kunst immer wieder zu ihrer Kindheit zurückkehrte. "Meine Kindheit hat nie ihre magische Kraft, nie ihr geheimnisvolles Dunkel, nie ihre Dramatik verloren." Diese Szenen bilden den Prolog für das Eigentliche: Eine Bourgeois-Schau, die sich mit rund 250 Ausstellungsobjekten - Schriftblätter, Zeichnungen, Druckgraphiken, Gemälde, Skulpturen und Installationen - als ein psychologisch-intimes Drama über neun Galerieräume entfaltet.

Erstickt im Häuslichen: Louise Bourgeois' "Femme maison", 1982. (Foto: Jonas Hänggi/Kunstmuseum Basel, VG Bild-Kunst, Bonn 2022)

"The Violence of Handwriting Across a Page" lautet der Titel dieser Ausstellung. Bourgeois wurde 1911 in Paris geboren und siedelte 1938 nach New York über. In den Vierzigern und Fünfzigern zog sie drei Kinder groß. Verfolgt von Depressionen und Schlafstörungen produzierte die Künstlerin Werke mit einer poetischen Direktheit und Verletzlichkeit, die bis heute unter die Haut geht. Mit ihren großformatigen Spinnenskulpturen und zellenartigen Käfig-Installationen wurde Bourgeois, die 2010 mit 98 Jahren in New York starb, weltberühmt.

In Basel wird von Jenny Holzer nun vor allem ihr zeichnerisches und geschriebenes Werk ausgebreitet. Bis unter die Decke, manchmal in drei Reihen übereinander sind im Museum die Werke der Künstlerin installiert. Ihre Ordnung folgt dabei nicht der Chronologie, sondern orientiert sich an bestimmten thematischen Strängen, die sich untergründig durch das Werk ziehen, wie etwa Architektur und Räume, Wasser und Blut, Familie, Liebe und Sexualität, Körper, Geburt und Tod.

Da ist etwa der neunteilige Text-Bild-Zyklus "He Disappeared into Complete Silence", der 1947 als Buchedition in kleiner Auflage erschien und nun den Auftakt der Schau bildet. Bourgeois kombinierte kurze Texte, in denen etwa ein übermütiger Mann durch einen Fahrstuhl geköpft wird, mit Radierungen von Konstruktionen und räumlichen Situationen, die nicht weniger albtraumhaft wirken. Auf kleinen Regalen darunter sind Kleinskulpturen zu sehen, welche auf die geschlechtsspezifischen Dimensionen des Häuslichen zielen. Das Thema der "Femme Maison", die mit dem Haus verwachsene Frauengestalt, taucht vielfach als Grundmotiv im Werk von Bourgeois auf. Mal erscheinen Architekturen als Zufluchtsorte, mal entpuppen sie sich als Falle. Die Künstlerin fand einfache wie eindrückliche Bilder für die gefühlte Erstickung im Häuslichen: Aus einem länglichen, erdfarbenen Klumpen etwa schauen nur noch die Beine, Arme und Haare einer Barbiepuppe hervor.

Die Kuratorin und Künstlerin Jenny Holzer im Kunstmuseum Basel. (Foto: Xandra M. Linsin)

Für die vielen Stimmen und Geschichten, zu denen sich die autobiografische Kunst von Louise Bourgeois zusammenfügt, hat Holzer in Basel eine Folge von Räumen inszeniert, die einen mal staunen und mal frösteln lassen. Nur gleichgültig lässt einen diese Kunst nicht.

Bis 15. Mai, Kunstmuseum Basel, Begleitpublikation zur Ausstellung: The Violence of Handwriting Across a Page, JRP Editions, ca. 65 Euro.

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