Zum Tod von Jean-Luc Godard:Ein Lebenswerk in Filmen

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Immer einen Schritt voraus in die Zukunft - Jean-Luc Godard. (Foto: imago stock&people/Zuma/Keystone)

Von frühen Triumphen in der Popkultur über politischen Aktivismus bis zum zitatgespickten Videoessay: In seiner Kunst blieb Jean-Luc Godard niemals stehen. Eine Sammlung.

Von SZ-Autorinnen und -Autoren

Außer Atem (À bout de souffle), 1960

Jean-Paul Belmondo trägt Tweedsakko, weißes Hemd, Krawatte. Außerdem ein Panzerarmband und einen Hut, unter dem er mit schrägen Lächeln hervorschauen kann. Er streicht sich gern mit dem Daumen über die Lippen - eine Geste von Humphrey Bogart. Er ist ein Autodieb und ein Mörder. Er trifft auf Jean Seberg, die auf den Champs-Elysées Zeitungen verkauft. Sie wird sein größtes Glück - und sein Verderben. Die Geburtsstunde der Nouvelle Vague, des neuen (nicht nur französischen) Kinos. Alles war Improvisation, alle konnten sich frei bewegen, der Kameramann war auf alles gefasst. "Lebe gefahrvoll bis zum Schluss", verlangt ein Filmplakat, dass einmal wie zufällig hinter diesem ersten großen Godard-Helden hängt - daran hat sich auch der Meister selbst am Ende gehalten. Und Generationen von Filmemachern wollten ihm darin nacheifern. Tobias Kniebe

Noch unschuldig: Anna Karina zwischen Jean-Claude Brialy (links) und Jean-Paul Belmondo. (Foto: Studiocanal)

Eine Frau ist eine Frau (Une femme est une femme), 1961

Angéla (Anna Karina) will ein Kind, aus heiterem Himmel, und Émile versteht die Welt nicht mehr, oder sie, oder beides. Eine musikalische Beziehungskomödie, aber jeder Film ist vor allem ein Dokument seiner Zeit. Und "Eine Frau ist eine Frau" ist in seiner Objektifizierung der Protagonistin noch unschuldig, ja nachgerade naiv, so fröhlich frivol, dass es ganz schwierig ist, Godard das darin enthaltene Frauenbild übel zu nehmen. Irgendwie steckt das Wortspiel in dieser ganzen Geschichte, auf dem der Film endet: infame, schrecklich, oder une femme, eine Frau? Susan Vahabzadeh

Szenen einer Ehe: Brigitte Bardot und Michel Piccoli in "Die Verachtung". (Foto: Studiocanal)

Die Verachtung (Le Mépris), 1963

Es ist eine der traurigsten Liebesgeschichten des Kinos, und eine der traurigsten Geschichten über die Liebe zum Kino. Michel Piccoli spielt einen Drehbuchautor, der einen missratenen Film über die Odyssee retten soll, Brigitte Bardot seine Lebensgefährtin, die sich während der Arbeit an dem Film ihrer Verachtung für ihren Mann bewusst wird. Dieses Ende einer Ehe hat Godard eng verwoben mit seiner Verachtung für die kommerzielle Seite des Kinos: Der Produzent wollte mehr Nacktaufnahmen, mehr Glamour, und Godard gab ihm beides - karikierte in seinen Bildern diese simplen Sehnsüchte aber zugleich. Der Tod trennt schließlich die Liebenden für immer, ein Alfa Romeo unter einem Tankwagen. Allein, die Maschinerie der Warenherstellung kann im Kapitalismus kein Todesfall aufhalten. Der Filmdreh geht weiter, die Insel Capri und das glitzernde Meer sehen so schön aus in Technicolor wie niemals zuvor und danach. Auf dem Drehplan steht die Szene, in der Odysseus, der Irrwanderer, das erste Mal wieder seine Heimat Ithaka erblickt, und Godard, in einem Cameo-Auftritt als Regieassistent, wuselt über das Set, während ein weiterer Assistent auf seine Anweisung hin übers Megafon fordert: "Silenzio!" David Steinitz

Der große Coup - Anna Karina in "Die Außenseiterbande". (Foto: Studiocanal)

Die Außenseiterbande (Bande à part), 1964

Das Leben ist ein Film, zumindest planen die jungen Möchtegern-Gangster Franz (Sami Frey) und Arthur (Claude Brasseur) so ihren großen Coup, Geld aus einer Villa klauen, von dem ihnen Odile (Anna Karina) erzählt hat, um deren Gunst sie buhlen. Ein spielerisches Unternehmen, alles im Überschwang und einem Gefühl von Freiheit - und weil sie diese Stimmung so schön einfängt, gehört die Szene, in der Odile, Franz und Arthur durch den Louvre rennen, um den bestehenden Rekord für Museumsbesuche zu brechen, zu Godards berühmtesten. Die Welt, in der die drei sich bewegen, ist Spiel und Traum, und Arthurs Onkel stört den ganzen Spaß, weil er's ernst meint mit dem Raub. Das macht dann aber fast nichts, denn der Film träumt einfach weiter, über den Tod hinweg. Susan Vahabzadeh

In den grellen Süden: Jean-Paul Belmondo und Anna Karina in "Elf Uhr nachts". (Foto: Studiocanal)

Elf Uhr nachts (Pierrot le fou), 1965

Eigentlich will Ferdinand nur durchbrennen mit seiner schönen und, weil wir hier mitten in der Nouvelle Vague sind, natürlich auch frivol geheimnisvollen Ex-Freundin Marianne (Anna Karina). Die Reise der beiden hinaus aus der Pariser Großbürgerlichkeit in den grell von der Sonne ausgeleuchteten Süden Frankreichs beginnt in Mariannes kahlem Appartement: Dort lehnen Kalaschnikows an den Wänden, man könnte also ahnen, dass das hier ein böses Ende nehmen wird. Aber sie singt so entwaffnend einen so abgeklärten Ohrwurm von einem Liebeslied - "Oh mon amour" -, dass Jean-Paul Belmondo die Kippe fast aus dem Mund fällt. Doch die Maschinengewehre behalten recht, Marianne ist die tödliche Sorte "Femme fatale". Und so endet dieser verrückte, moderne, bunte, schockierende Abenteuerfilm für Ferdinand auf einer Klippe, wo er sich Dynamitstangen um den Kopf bindet und die Zündschnur tatsächlich abbrennt. Eine Explosion der Kinogeschichte. Kathleen Hildebrand

In tiefer Verachtung sind sich Corinne und Roland verbunden. (Foto: United Archives/imago images)

Weekend (1967)

Wenn der Gesellschaftsvertrag eines Tages aufgehoben wird und alle durchdrehen, das wusste Godard natürlich, wird es im Autoverkehr passieren. Corinne und Roland sind ein Paar, das sich in tiefer Verachtung verbunden ist. Gemeinsam machen sie sich auf den Weg zu Corinnes Vater, an dessen Erbe sie ranwollen. Die Reise von der Stadt aufs Land ist eine Reise in die Anarchie, alle staatlichen und moralischen Strukturen scheinen zu zerfallen, Eigentum und Körper werden nach und nach dem Recht des Stärkeren ausgesetzt. Höhepunkt ist der wohl berühmteste Stau der Filmgeschichte, eine lange Plansequenz vorbei an unfreiwillig ausgebremsten Menschen und ihren Wagen. Die Gewalt bricht sich Bahn, es ist, wie immer bei Godard, tragisch und komisch. Die Auflösung aller Regeln und Konventionen übertrug der Regisseur natürlich auch auf sein Werk. Ein Film, gefunden auf der Müllhalde, ist zu Beginn von "Week-end" (1967) zu lesen, und am Schluss: fin de cinéma - das Ende des Kinos. David Steinitz

Jean-Luc Godard schaut den Stones bei der Arbeit zu: "One plus One". (Foto: Keystone Features/Getty Images)

Eins plus eins (One plus One/Sympathy for the Devil), 1968

Gleichungen gehen nie wirklich auf, das wusste Godard. Und das muss man wissen, wenn man seinen Film "One plus One" anschaut, mit dem er das Arbeiten in Teams anfing - was später dann mit internationalen maoistischen Gruppen weitergeführt wurde. Hier gibt es schon mal eine Menge militanter Sprüche, Black Power mit Waffenfuchteleien und Erschießungen weißer Mädchen. Alles, damit man sieht, wie "ernst" sie es meinen. Die Rolling Stones proben "Sympathy for the Devil" von der LP "Beggars Banquet" in den Olympic Sound Studios, und Godards Kamera bewegt sich um sie her, als wäre sie im luftleeren Raum. "Das war das Thema", erzählte Godard später: "Auf der einen Seite One, die Rolling Stones, und ich ihnen gegenüber. Das machte one plus one, eins und eins, das ist der Versuch, zwei zu machen." Fritz Göttler

Hanns Zischler am Klavier in "Deutschland Neu(n) Null". (Foto: ddp images)

Deutschland Neu(n) Null (Allemagne 90 neuf zéro), 1991

Godard, der Romantiker, das war er von seinen ersten Texten und Filmen an ... Der Titel variiert einen legendären Film der Kinogeschichte, von dem die Jungs der Nouvelle Vague alle gelernt hatten, "Deutschland im Jahr null", von Roberto Rossellini. Godard ging nun 1991 ebenfalls nach Berlin, um das Land in seiner neuen Stunde null, nach der Wiedervereinigung, zu dokumentieren. Ein Phantomfilm, ein Film der Nacht, dem die Fülle der literarischen, musikalischen und filmischen Zitate eine gespenstische Transparenz verleiht. Auch Eddie Constantine ist wieder dabei, der Lemmy Caution aus "Alphaville", mit unbeweglichem zerfurchtem Gesicht. Seine Liebe zur Romantik hat Godard in der Jugend über die deutsche Literatur herausgebildet. Fritz Göttler

Szene aus "Film Socialisme", gedreht auf dem Kreuzfahrtschiff Costa Concordia. (Foto: Verleih)

Film Socialisme, 2010

Genauso, sagt Godard, hätte der Titel auch "Film Communisme" oder "Film Capitalisme" heißen können. Jedenfalls geht es um die großen Entwürfe, die Reise führt zitatreich und gelehrt in die Geschichte zurück, naturgemäß bis in die Antike, sprich: Richtung Mittelmeer. Sprich weiter: Warum machen wir dann nicht gleich eine Kreuzfahrt? Gesagt, getan. Ein Kreuzfahrtschiff also voll echter Passagiere, das Häfen von Casablanca über Odessa bis Neapel ansteuert, gefilmt mit Video. Patti Smith fährt eine Zeit lang mit, taucht aber dann doch nur gut fünf Sekunden lang auf. Unbekannte Schauspieler deklamieren den unendlichen Bewusstseinsstrom des Meisters, dessen Assoziationsketten man längst nicht mehr folgen kann - man kann sich an ihnen aber angeregt entlangtreiben lassen. Wenn Godard die Frage "Quo vadis, Europa?" stellt, dann nur, nur um sie auf keinen Fall zu beantworten. Die große Kunst, bis ins hohe Alter "Nein" zu sagen - und dabei doch vollkommen locker zu bleiben. Tobias Kniebe

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SZ PlusZum Tod von Jean-Luc Godard
:Rebell des Kinos

Mit ihm fängt das Kino an, ohne ihn ist es nicht denkbar: Jean-Luc Godard ist tot. Er war schneller und wilder als seine Freunde von der Nouvelle Vague. Und alle zehn Jahre fing er ein neues Leben an. Über den wohl größten Filmregisseur.

Von Fritz Göttler

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