Jazz:Wie ein Adler

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Bei kaum einem Musiker der Gegenwart stehen der Bekanntheitsgrad und die künstlerische Bedeutung in einem so krassen Gegensatz wie bei dem Saxofonisten Chris Potter. Mit seiner jüngsten CD bestätigt er seinen Rang als Ausnahmemusiker.

Von Andrian Kreye

Es gibt kaum einen Musiker, bei dem Bedeutung und Bekanntheit in einem solchen Kontrast stehen, wie bei dem Saxofonisten Chris Potter. Das mag oberflächliche Gründe haben (er macht wenig Aufhebens um sich als Person, nutzt die Bühne ausschließlich für seine Musik). Als er mit seinem Quartett vergangene Woche im Münchner Jazzclub "Unterfahrt" gastierte, spielte er sich, seine Musiker und das Publikum dann aber in einen musikalischen Rausch, der nur wenige Vergleiche zulässt.

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Was Chris Potter zu einem Ausnahmemusiker macht, ist, dass er ein Höchstmaß an Technik und Virtuosität mit einem Übersprudeln an Ideen und zugleich mit Emotionalität verbinden kann. Versteht man ein wenig von seinem Instrument, dann weiß man, dass er auch nach zweieinhalb Jahrzehnten (der heute 46-jährige veröffentlichte 1993 sein erstes Album unter eigenem Namen) noch viele Stunden mit Üben verbringen muss. Selbst bei Kadenzen im 32tel-Tempo spielt er, egal ob auf dem Tenor- oder Sopransaxofon, mit einer Präzision und einer Phrasierung, die nur wenige beherrschen.

"The Dreamer Is The Dream", heißt Chris Potters neues Album. (Foto: ECM)

Weil Potter diese technische Höchstform aber so verinnerlicht hat, verfügt er über ein musikalisches Vokabular, das seine oft zehnminütigen Soli zum musikalischen Pendant großer Entwicklungsromane macht. Er trägt seine Zuhörer durch so viele Wendungen und Spannungsbögen, dass man gar nicht merkt, dass er das Maß an Höflichkeit längst hinter sich gelassen hat, das in einem Jazzquartett die Anteile der Soli regelt.

Wobei er die Gabe hat, immer wieder ebenbürtige, junge Musiker um sich zu sammeln. Nachdem sein bisheriger Weggefährte am Klavier Craig Taborn gerade selbst zum Star aufsteigt, hat er mit dem Kubaner David Virelles wieder einen Pianisten gefunden, der es mit ihm aufnehmen kann. Dazu kommt der Schlagzeuger Marcus Gilmore, der die Höhenflüge der Musiker mit enormer Expressivität antreibt, sowie der Bassist Joe Martin, dessen Rolle es ist, die drei zu erden.

Das ist nicht leicht. Potters emotionale Qualität ist es, seiner Virtuosität ein Gefühl zu verleihen, für das es im Englischen den schönen Ausdruck "soaring" gibt, der eigentlich den Aufwärtsflug einer Adlers beschreibt. Diese Qualität dürfte es gewesen sein, für die Pat Metheny Chris Potter in seine überragende Unity Group geholt hat.

Für das Album "The Dreamer Is The Dream" (ECM) hat der Produzent Manfred Eicher die überschäumende Kreativität in Bahnen kanalisiert, die das Rauschhafte nicht ausklammern, aber auf ein fürs Plattenhören vernünftige Maß bringen. Es ist das Werk eines Ausnahmemusikers, der alle Aussichten hat, als bedeutendster Saxofonist seiner Zeit in die Musikgeschichte einzugehen. Auch wenn nur wenige seinen Namen kennen.

© SZ vom 26.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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