Jazz:Bescheidene Angeber

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Wenn Virtuosen Schlichtheit üben: Der Schlagzeuger Peter Erskine und seine "Dr. Um Band" zeigen, wie man Kitsch so auseinandernehmen kann, dass es einem den Atem raubt.

Von Andrian Kreye

Reine Chuzpe, wenn die Dr. Um Band des Schlagzeugers Peter Erskine als gestandenes Jazzrockquartett "Dreamsville" zum zentralen Stück ihres Repertoires macht. Der Filmkomponist Henry Mancini hatte die Ballade Ende der Fünfzigerjahre für die Krimiserie "Peter Gunn" geschrieben. Wie so oft rettete Mancini die schamlos sentimentale Melodie mit unerwarteten Akkordwechseln. Jazzmusiker taten sich mit ihm deswegen immer schwer, weil man bei ihm am Kitsch und an den Akkordwechseln gleich doppelt scheitern kann.

Für Peter Erskine und seine Band ist das Stück ein perfektes Vehikel für das musikalische "humblebragging", das sie bei ihrem Auftritt im Nightclub des Münchner Hotels Bayerischer Hof so meisterhaft inszenierten. Eigentlich ist dieses "Bescheidenheitsprahlen" ein Phänomen aus den sozialen Medien, wenn man über selbstironische Anekdoten kleiner Malheurs und Peinlichkeiten (neulich mal wieder in Hollywood stockbetrunken... blablabla) mit Fernreisen oder Luxusprivilegien angibt.

Erskine und die Dr. Um Band taten das mit einem betont schlichten Blues als Auftakt und dann eben mit "Dreamsville". Nun sind Erskines wichtigste biografischen Eckpunkte seine Zeiten mit der Stan Kenton Big Band und mit Weather Report. Was heißt, dass er nur mit den Besen einer Ballade wie "Dreamsville" subtilen Druck verleihen kann, weil er sowohl den Swing beherrscht, aber auch mitgeholfen hat, den Jazzrock Stadion-tauglich zu machen. Was Saxofonist Bill Sheppard (lange bei Freddie Hubbard und Steely Dan) mit einem Solo flankierte, bei dem er den simplen Mancini-Kitsch mit so virtuosen Be-Bop-Phrasierungen auseinandernahm, dass es einem den Atem raubte.

Wer es nachhören will kann das auf dem neuen Album der Band "On Call" (Fuzzy). Ansonsten sind diese Abende im Bayerischen Hof eines der größten Geheimnisse Münchens, weil man dort oft Hallenstars im Club-Rahmen zu hören bekommt (wie bald schon wieder beim alljährlichen Jazzsommer). Und wenn man Glück hat, reduziert dann ein stadionerfahrener Drummer wie Peter Erskine die ganze Wucht seines Könnens auf ein brillant minimales Swingbesenmotiv, das in jeder Halle untergehen würde.

Jazzsommer im Bayerischen Hof: 23.7. Incognito; 24.7. Lucky Peterson; 25.7. Bill Frisell; 26.7. Manou Gallo; 27.7. Stanley Clarke; 28.7. Joao Bosco.

© SZ vom 11.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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