Jackass 3D:Ein Apfel, hinten, für die Sau

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"Waas? Aber das ist ja lebensgefährlich!" Der Film "Jackass 3D" zeigt, wozu Männer fähig sind, wenn man sie allein lässt.

Burkhard Müller

Der beste Augenblick eines 3D-Films liegt doch immer in seinem Anfang. Da hat das Auge noch zu ringen, um aus der Fläche in die Tiefe zu finden, man zuckt zurück, wenn einem plötzlich spitze Gegenstände von der Leinwand bis an die Nase zu springen scheinen, und wenn die Luft sich mit wogender Flüssigkeit füllt (oder gar mit Schnee!), dann glaubt man traumhaft der Geburt des wahren Raums beizuwohnen.

Manchmal gibt es noch so etwas wie eine sportliche Herausforderung in den Jackass-Nummern, aber die Frage bleibt: Warum tun die das? (Foto: AP)

Auch "Jackass 3D" kommt dies zugute. Mit einer Anmut, die dem Film im späteren Verlauf gänzlich fehlen wird, tanzt die Crew, darunter ein Zwerg und ein unförmig Dicker, in albernen Party-Kostümen herein und beginnt eine Art von höherer Kissenschlacht, bei der Federn fliegen, Wasser spritzt und große Boxhandschuhe Hiebe von eigentümlicher Zärtlichkeit austeilen, ein Effekt, der sich vor allem aus der Zeitlupe ergibt; was sonst in seiner Brutalität so schnell kommt, dass die Wirkung fast eher ins Auge fällt als die Ursache, das mildert und dehnt sich zum choreographischen Erlebnis. Man ist entzückt, denn damit hatte man - bei allem, was vorab von diesem Film zu hören war - am wenigsten gerechnet.

Diesem Zauber ist freilich keine Dauer beschieden. "Jackass" war ursprünglich eine Fernsehserie bei MTV gewesen, die sich völlig auf Stunts verlegt hatte, bei welchen abwechselnd oder gleichzeitig Grenzen des körperlichen Muts, des Ekels und der schieren Blödheit erreicht und überschritten wurden. Die Serie geriet in die Kritik, als Teenager die Szenen nachstellten und es Schwerverletzte, ja sogar Tote gab. MTV, in die Defensive gedrängt, musste in Vor- und Nachspann eine Warnung setzen: Diese Stunts seien von Profis ausgeführt worden, die Nachahmung unverantwortlich und dringend von ihr abzuraten. Es half nichts, die Serie wurde doch gekippt. Also wich "Jackass", das nach wie vor sein begeistertes Publikum hatte, ins Kino aus, das dank seiner besser kontrollierbaren Rahmenbedingungen dem Projekt Verdruss mit den Volkspädagogen ersparte. Der Warnungsspruch, zu dem die Hersteller einst gezwungen worden waren, ist nunmehr mit einem gewissen Stolz eingeblendet, fast wie ein Wappen, das auf die noble Herkunft aus dem TV-Skandal verweist.

Nun machen aber zehn hintereinandergehängte Fernsehstücke noch keinen Film. Zunächst findet man gerade das Bescheuerte dieses Humors zwar richtig lustig, es darf sogar dreimal hintereinander praktisch dieselbe Szene kommen, ohne dass man es krumm nähme: Eine riesige Hand, schwenkbar montiert, haut den Ahnungslosen, der um die Ecke biegt, voll um; einmal trägt er ein Tablett mit Suppe, einmal platzt ein Mehlsack und bestäubt ihn, das ist Variation genug, um sich dem herzhaft-einfältigen Gelächter dieses schrägen Männerbundes anzuschließen. Ziemlich gut kommt auch noch ein Spielchen, bei dem ein mit afrikanischen Killerbienen gefüllter Ball von den Mitwirkenden geschlagen werden muss. "Bei hundert Stichen stirbst du." "Waas? Aber das ist ja lebensgefährlich!" "Na, zähl einfach bis 99 und hau dann schnell ab!" Solche Fälle von sprachlich codierter Komik bleiben freilich die Ausnahme.

Dieses Universum aus elastischen Seilen, Exkrementen, Superkleber, wechselnden Bällen (Baseball, Football, Tetherball) und wackligen zweirädrigen Gefährten, denen man schon vor dem Start ansieht, was hinterher passieren wird, hat etwas auf die Dauer sehr Ermüdendes; und etwa zeitgleich erschöpft sich auch der 3D-Effekt, den man gar nicht mehr recht wahrnimmt. Warum, fragt man sich, tun die das? Manchmal gibt es noch so etwas wie eine sportliche Herausforderung, etwa wenn es darum geht, mit einem Spezialvehikel über eine Rampe entweder in ein Schwimmbecken zu plumpsen oder aber darüber hinauszuschießen. Das ließe sich immerhin noch als echte Alternative bezeichnen. Aber wenn man sich von einer Apparatur ausrechnen lässt, dass es für den Protagonisten gleich mit hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit einen Schlag in die Eier setzt: das ist doch ziemlich überraschungsfrei für die umstehenden Kumpel und einigermaßen unangenehm für den Betroffenen. Und doch amüsieren sich alle blendend.

In diesen Fällen kann der Zuschauer sich immerhin noch sagen, dass es den Anderen weh tut und nicht ihm. Schwieriger wird solche affektive Distanz allerdings, wenn der Dicke in eine durchsichtige Plastikhülle schlüpft und sich im Fitnessraum tüchtig verausgabt, wobei ihm der reichlich vergossene Schweiß an der Gesäßfalte abgezapft und in einem Becher gesammelt wird, auf dass ihn der Unerschrockenste in der Runde trinke. Der Film thematisiert seine Rezeption selbst, wenn der Kameramann, der es aufzeichnet, sich übergeben muss, so dass die Kamera von zähen Schlieren tropft: eine wahre Kaskade der Körpersäfte.

Dämon der Menschheit

Der Ruhm dieses Films gehört weder der schauspielerischen Leistung noch der Regie noch dem Drehbuch (von einer Handlung in welchem Sinn auch immer kann nicht die Rede sein), sondern allein dem Umstand, dass es Leute gibt, die so etwas tun und sich dabei ablichten lassen, wieder und wieder, im vergeblichen Bemühen um Überbietung. In dieser Hinsicht gehorcht der Film der Ästhetik des Hardcore-Pornos. Dass Frauen indessen hier keine Rolle spielen, braucht man nicht extra zu sagen. "Jackass 3D" liefert einen trüben Beleg dafür, zu was Männer fähig sind, wenn man sie sich selbst überlässt. Sogar wo sexuelle Obszönitäten auftauchen, herrscht darin ein infantiler, ein eigentlich vorsexueller Geist. Die Tabus, über die sich der Film so vergnügt hinwegsetzt, betreffen sämtlich die Schonung des Leibes, des eigenen wie des fremden: er soll nicht verletzt, nicht beschmutzt, nicht gedemütigt werden. Dass all dies hier unter den Vorzeichen der Lustigkeit geschieht, hat einen Zug ins Schauerliche. Der Dicke bekommt einen Apfel in den Arsch gesteckt, man holt eine Sau herbei, die frisst den Apfel ungeniert an Ort und Stelle. Und plötzlich sehen die beiden Mitwirkenden wie Geschwister aus, von ähnlicher Größe und gleicher nackter rosa Farbe, auf allen Vieren - nur dass die Sau bei dem, was sie tut, Fasson wahrt ... So steht das Tier auf einmal, ernster und mächtiger als die Ulkbrüder, da wie ein Dämon der Menschheit, als Erinnerung daran, dass die Gewalt dort am schrecklichsten ist, wo sie als Spaß daherkommt. BURKHARD MÜLLER

JACKASS 3D, USA 2010 - Regie: Jeff Tremaine. Buch: Preston Lacy. Kamera: Lance Bangs, Dimitry Elyashkevich, R. Kosick. Mit: Johnny Knoxville, Bam Margera, P. Lacy. Paramount, 94 Minuten.

© SZ vom 02.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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