Italienische Literatur:Elena Ferrantes neues Buch: Freude am doppelten Spiel

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Die Marketing-Abteilung des Suhrkamp Verlages setzt bei Band zwei auf den Herz-Schmerz-Aspekt von Elena Ferrantes Tetralogie. (Foto: N/A)

Im zweiten Teil ihrer gefeierten Romanserie wartet die Autorin mit allem auf, was ihre Erzählungen so packend macht: eine präzise Analyse der Macht unter der Camorra in Neapel, melodramatische Verstrickungen und gut gezeichnete Figuren.

Von Maike Albath

Dieses Mal geht es wirklich zur Sache. Die Marketing-Abteilung des Suhrkamp Verlages gibt die Zielrichtung vor und setzt auf den Herz-Schmerz-Aspekt von Elena Ferrantes gefeierter Tetralogie: Der Umschlag von Band zwei ist in blassem Rosa gehalten. Ein stilisierter Vesuv mit Schneekuppe bildet den Hintergrund, im Vordergrund ist eine Braut im Halbprofil mit wehendem Schleier und Blumenstrauß zu erkennen, die an einer Brüstung steht. Die Blütenblätter taumeln gen Horizont.

Wer zur eingeschworenen Gemeinschaft der Ferrante-Leserinnen gehört, weiß natürlich längst Bescheid: Die träumerische Pose in gedecktem Rosa passt weder zu dem rauen Ton, mit dem auf den ersten Seiten die Hochzeit geschildert wird, noch zu der Katastrophe, die über die Heldin Lila am Tag ihrer Eheschließung hereingebrochen war. Lilas Verlobter, der Wurstwarenhändler Stefano Caracci, schien für ein anderes Neapel zu stehen und Schluss machen zu wollen mit den Gesetzen des übermächtigen Camorra-Clans Solara.

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Band eins hatte mit einem Cliffhanger geendet: Auf dem Höhepunkt des Festes waren ausgerechnet die beiden Solara-Brüder aufgekreuzt, und einer der beiden, Marcello, trug auch noch ein Paar Schuhe, das Lila für die Werkstatt ihres Bruders entworfen hatte. Es war ihr Unterpfand gewesen, ihre Wette auf eine freiere, selbstbestimmte Zukunft. Aber, das begreift man am Anfang von Teil zwei, sie war hintergangen worden, die Männer ihrer Familie hatten sie verschachert.

Was wie ein schmissiger Anreißer wirkt, ist zugleich eine präzise Analyse der ökomischen Machtverhältnisse mit beträchtlichem soziologischem Tiefgang. Ferrante treibt wie immer ein doppeltes Spiel, das ihr einen Heidenspaß zu machen scheint. Ob Essays über ihr Schreiben, Interviews mit ihren Verlegern oder jetzt ihr Schweigen zur Enthüllung ihres Pseudonyms, alles ist Teil der Inszenierung. Mit dem Auftakt von Band 2 ruft sie nun augenzwinkernd das Genre des Fortsetzungsromans auf: "Die Geschichte eines neuen Namens" beginnt mit einem ausführlichen Figurenverzeichnis, das ganz in der Manier des 19. Jahrhunderts kleine Skizzen zu den Eigenarten des Personals und ihren Beziehungen untereinander bündelt und außerdem die Geschehnisse zusammenfasst.

Dieser zweite Band der Serie ist eine Mischung aus Ehe- und Gesellschaftsroman

Das erste Kapitel bietet dann einen Vorgriff auf das Frühjahr 1966, als die Ich-Erzählerin Lenù bereits in Pisa studiert und bei einem Ferienaufenthalt von Lila einen Stapel Hefte überreicht bekommt, die diese vor ihrem Mann in Sicherheit bringen will. Es sind die Tagebücher der Freundin, Lenù liest sie trotz des Verbots und wieder klingt ein Motiv an, das den gesamten Zyklus strukturiert: das der Rivalität. Denn Lila, tief im Viertel ihrer Kindheit verankert, verfügt über eine ganz eigene Vitalität und eine ursprüngliche Sprachkraft, die der kultivierten Lenù komplett abhandengekommen zu sein scheint. Anders als Lenù scheint Lila die Weltaneignung immer wieder auf Anhieb zu gelingen. Außer sich vor Neid saugt Lenù diese Hefte erst auf, um sie dann entnervt vom Ponte Solferino in den Arno zu kippen.

In weit ausgreifenden epischen Bögen und mit dem gewohnten Gespür für Rhythmus und Tempoverschiebungen zeichnet Ferrante das Doppelschicksal der Freundinnen im sich wandelnden Italien nach. "Die Geschichte eines neuen Namens" ist eine Mischung aus Ehe- und Gesellschaftsroman. Es gibt drastische Szenen über die Misshandlungen, mit denen Stefano seine sechzehnjährige Frau gefügig macht. Lila passt sich zunächst an, verlagert ihren Ehrgeiz ins Materielle und wird zu einer neapolitanischen Wiedergängerin von Madame Bovary. Sie kleidet sich ein, stattet die Wohnung aus, beherbergt Lenù, versorgt sie mit Schulbüchern, zahlt Stefanos Mitarbeiterinnen fürstliche Gehälter. Mit ihrer unternehmerischen Begabung gelingt es ihr, aus einer Zweigstelle von Stefanos Laden enormen Profit zu schlagen. Auch dem Schuhgeschäft der Solaras drückt sie ihren Stempel auf.

Unterdessen absolviert Lenù das Gymnasium, findet Unterstützung bei einer Lehrerin, schwankt zwischen ihrem eher einfältigen Freund Antonio und dem schillernden Abiturienten Nino Sarratore.

Wie oft im Bildungsroman wird die Entfremdung zur emanzipatorischen Kraft

Nino steht dann auch im Mittelpunkt eines auf über zweihundert Seiten geschilderten Sommeraufenthaltes auf Ischia, zu dem Lenù ihre Freundin Lila begleitet - und es kommt, wie es kommen musste. Obwohl die Wendungen dem Muster von gegenseitigem Übertrumpfen und Ausstechen folgen, das einem aus dem ersten Band wohlvertraut ist, werden die Wirren der Jugendliebe sehr geschickt entfaltet. Ferrante bedient lustvoll einen süffigen Realismus, macht aus der tiefen Ambivalenz zwischen Lila und Lenù ein dynamisches Element und zeichnet zugleich die Folgen des Wirtschaftswunders nach. Lilas Ehe gerät in Turbulenzen; Lenù erleidet eine finale Demütigung.

Hier operiert Elena Ferrante mit den typischen Merkmalen des Bildungsromans, denn durch die Enttäuschung löst sich Lenù aus der Identifikation mit der Freundin; die Entfremdung wird zu einer emanzipatorischen Kraft. In Pisa schreibt sie sogar die Geschichte des Sommers von Ischia auf. Der Mutter ihres Verlobten gefällt der Text, und es wird ein Buch daraus, ihr literarisches Debüt.

Elena Ferrante wartet mit allem auf, was ihre Romanserie so packend macht: melodramatische Verstrickungen, ein plastisches Figurenensemble, das Psychogramm eines Opportunisten, Schilderungen der strukturellen Gewalt in Neapel und der Klassengegensätze, Beschreibungen der Arbeitswelt. Dass Lenù ihren Erzähl-Impuls aus den Heften ihrer Freundin bezieht, die sie ausgerechnet in den Arno wirft, hat eine literaturgeschichtliche Pointe. Mit einer "Spülung im Arno", also im toskanischen Idiom, hatte der große Romancier des 19. Jahrhunderts Alessandro Manzoni seinen "Brautleuten" den letzten Schliff verliehen.

Lenù ertränkt ihr Vorbild - erst dann gewinnt sie zumindest vorübergehend Deutungshoheit und findet ihre eigene Stimme. In der letzten Zeile attestiert ihr das ausgerechnet ein Mann, der windige Nino Sarratore. Ferrantes Verwirrspiel mit den vermeintlich weiblichen Erzählformen ist längst nicht vorbei.

© SZ vom 07.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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