Internetvideo der Woche:Kampfhund am Körper

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Wer besäße nicht gerne einen Hightech-Anzug, der stärker, schneller und unbesiegbar macht? Die modernste Rüstung der US-Armee in der Clip-Kritik.

Christian Kortmann

Meistens genügt ein gut sitzender Anzug, um einem Halt zu geben, oder um sich zumindest einzubilden, man stünde fest und sicher ummantelt in der Welt, um jedem Gegenwind zu trotzen. Doch manchmal wünscht man sich eine moderne Ritterrüstung: Die Idee des Exoskeletts, einer künstlichen äußeren Verstärkung, die die zerbrechliche Konstruktion Mensch stabiler macht, fasziniert die Science-Fiction schon seit langem.

Die Muskeln, die sonst die ganze Arbeit verrichten, werden im motorisierten Bewegungsverstärker zu bloßen Steuerungselementen, die mechanische Körperglieder mit unvorstellbarer Kraft bewegen. Derart gerüstet kann der Mensch gewaltige Lasten heben und höher springen, als er zuvor zu träumen wagte, wie im Clip "The 'Real' Iron Man!" zu sehen ist.

Anstatt uns jedoch über alltägliche Schwächephasen hinwegzuhelfen, entwickelt man Exoskelette bislang vorzugsweise für Menschen, die eh schon stark sind, aber noch stärker werden sollen. Die militärische Forschung, die auch die fortschrittlichsten Roboter hervorbrachte, investiert in Technologie, um mit Hilfe von Exoskeletten den unverwundbaren, unermüdlichen und jedem Gegner überlegenen Supersoldaten hervorzubringen.

Besonders schön ist die Szene, in der Mastermind-Erfinder Dr. Jacobson darauf beharrt, mit seiner Erfindung nicht nur seinem Auftraggeber, der US Army, sondern der gesamten Menschheit zu helfen. Während hinter ihm das Frankenstein'sche Repertoire von künstlichen Körpergliedern an der Wand baumelt, straft er seine Kritiker ab: "Manche nennen mich einen verrückten Wissenschaftler, dabei erfüllen wir nur die Bedürfnisse." Damit ihr Forschungsgegenstand nicht allzu martialisch wirkt, verweisen Entwickler von Exoskeletten gerne darauf, dass auch Gelähmte mit diesen Apparaten wieder laufen könnten.

Nicht nur in der organisierten Forschung, die auf staatliche Geldgeber angewiesen ist, auch für Autodidakten hat die Idee des perfekten Kampfanzugs ihren Reiz.

So demonstriert im Clip "Full Body Armor Exoskeleton Suit Now Reality" ein besessener Garagenlabortüftler seine "Trojan" genannte Cyborg-Uniform. Zuvor hat er schon einen Anti-Grizzlybär-Attacken-Anzug erschaffen und sich an dieses technologische Wunderwerk jahrelang rangearbeitet und 150.000 Dollar investiert.

Es hat sich gelohnt, jetzt ist seine RoboCop-Rüstung vollendet. Sie sei leicht und schussfest und habe ein Nachtsichtgerät, kurz: der Gipfel der Ingenieurskunst, erklärt er in einer Sprachmodulation, die an Quentin Tarantino erinnert, wenn er von seinem neuesten Filmprojekt erzählt. Die Nachbarn haben sich an die Nahkampf-Manöver im Vorgarten gewöhnt, wenn sich der Supersoldat etwa tollkühn in den Schnee wirft. Ihn bei der Forschung zu unterstützen, indem sie auf ihn schießen und so die Schussfestigkeit der Rüstung beweisen, wollen sie zu seinem Missfallen aber nicht.

Im Clip "HULC", einem schnell geschnittenen Infomercial für das momentan beste Exoskelett, der sich wohl an von MTV und Counterstrike sozialisierte Rüstungsetat-Verantwortliche richtet, hat wieder ein institutioneller Experte das Wort.

Entwickler Jim Ni schwärmt von der "wahren Wohltat für deinen Soldaten", der nun leichtfüßig und spielerisch durch die dünne Höhenluft von Afghanistans Bergwelt patroullieren kann. Die Technologie, die dem Militär heute wirklich zur Verfügung steht, wird noch ausgefeilter sein, doch dieser Werbeclip des Rüstungskonzerns Lockheed Martin vermittelt eine Ahnung von der fortschreitenden Mensch-Technik-Verschmelzung.

Dank HULC, dem Human Universal Load Carrier, und seinen miezekatzenleise schnurrenden Hydraulik-Motoren merkt man den 100-Kilo-Rucksack auf den Schultern und die Granate am Brustgurt gar nicht mehr. Es gibt keine Knöpfe, die man bedienen müsste, das leichte Exoskelett aus Titan funktioniert wie ein vegetativer Teil des Körpers. Die Frage ist, was hier wen steuert, ob man als Exoskelett-Träger also gewissermaßen einen unberechenbaren Kampfhund am Körper trägt und fürchten muss, dass er plötzlich die Kontrolle übernimmt.

Bei aller hightechgestählten Fortschrittsgläubigkeit, die der Clip transportiert, vermittelt er doch ein pessimistisches Bild des zukünftigen Menschseins: Er zeigt einen einsamen Starship Trooper, der dazu verdammt ist, auf den immer gleichen Wegen hin und her zu rennen, um andere, mehr oder minder verstärkte Wesen zu bekämpfen. Ob er dabei schneller oder langsamer ist, wenig oder viel tragen kann, seinem Schicksal entkommt er trotzdem nicht. Darin unterscheidet sich das innovativste Exoskelett nicht vom maßgeschneiderten Anzug.

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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