Im Kino: Michael Moore:Der Antifatalist

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Selbstdarsteller Michael Moore stürzt sich in seinem neuen Film "Kapitalismus - Eine Liebesgeschichte" auf die Finanzkrise.

Susan Vahabzadeh

Das stärkste Argument für Michael Moores neuen Film "Kapitalismus - Eine Liebesgeschichte" sind die Leidenschaft und die Begeisterung, die dieser Film bei seinen Zuschauern auszulösen vermag. Schaut man sich zum Beispiel die Kommentare der Leser auf der New-York-Times-Website an, ist der Enthusiasmus, mit dem Moores Film dort verteidigt wird, schon fast ansteckend. Was man spürt in diesen Kommentaren, ist der feste Glaube, dass man die Welt nicht akzeptieren muss, wie sie ist.

In einer Szene des Films erklärt Michael Moore die New Yorker Börse zum Tatort. (Foto: Foto: ap)

Michael Moore, grandioser Selbstdarsteller und schon deswegen der berühmteste aller Dokumentarfilmer, hat wieder einmal einen guten Riecher gehabt - was die Ängste und Sorgen der Amerikaner angeht, ist er der King of Pop. Das bezieht sich nicht nur auf die Krise an sich, sondern vor allem auf das Ohnmachtsgefühl, das viele Menschen empfinden - angesichts von Banker-Boni trotz Staatshilfen, angesichts einer Finanzwelt, die ganz vom Rest der Welt losgelöst zu agieren scheint und in dieser nicht mehr sieht als einen gigantischen Selbstbedienungsladen. Michael Moore ist weniger ein Antikapitalist als ein Antifatalist.

Trailer zum Film. (Quelle: www.concorde-film.de)

Inzwischen ist der Aufwand, mit dem für Moores Filme recherchiert wird, sehr groß, und dementsprechend hoch ist auch die Dichte an tatsächlichen Entdeckungen. Große Firmen wetten beispielsweise mit Versicherungspolicen sozusagen auf den Tod ihrer Mitarbeiter - Moore ist nicht der Erste, der das herausgefunden hat, aber es gehört auch nicht gerade zum Basiswissen des Durchschnittsmenschen, weder hierzulande noch in Amerika. Außerdem geht es um die sinnlose Zerstörung von Arbeitsplätzen, um Arbeiter, die sich wehren, um Banker, die nicht erklären können, was sie tun, um die Zocker der Wall Street, um die Leute, die aus ihren Häusern herausmüssen, weil man sie schlicht und einfach hinters Licht geführt hat.

Michael Moores Liebesgeschichte mit dem Kapitalismus hat es nie gegeben, das sieht man schon in "Roger & Me", seinem frühen General-Motors-Film. Aber eine Analyse lässt er ihm auch nicht angedeihen. Was denn Kapitalismus ist, im Marxschen Sinne, wird hier nicht verhandelt. Dass er keine amerikanische, sondern eine globale Veranstaltung ist, deutet sich eigentlich nur einmal an - in einer sehr schönen Sequenz über die Wirtschaftswunderjahre der Nachkriegszeit, deren knallbunte Idylle auf Kosten anderer Weltgegenden zustande kam.

Gott segne uns

Moore wirbt nicht für den Kommunismus, also muss er sich auch nicht damit befassen, ob die Menschheit für ihn gemacht ist. Was aber die kapitalistische Sehnsucht nach Gewinn, der so groß geworden ist, dass er keinerlei Bedeutung mehr haben kann, mit uns zu tun hat; wie gierig und konkurrenzbetont wir vielleicht einfach sind - das fragt er sich auch nicht. Aber es gelingt ihm - wieder - eine Zusammenführung von Gleichgesinnten. Er erzeugt ein Wir-Gefühl bei seiner Zuschauergemeinde, das Gewerkschaften und Politiker nur noch selten herzustellen vermögen. So ist Moores "Liebesgeschichte" vor allem ein moralischer Appell.

Kapitalismus so ganz im Allgemeinen ist aber natürlich auch ein viel zu weit gefasstes Thema - Konzentration kann hier nicht aufkommen. Mal geht es ums System an sich, dann um seine Folgen, und irgendwie hängt das schon alles zusammen, aber eben nur lose.

So mäandert Moore von einem Brandherd zum nächsten, was letztlich nicht leidenschaftslos wirkt, aber manchmal ein wenig desorientiert. Eine richtige Struktur, einen Ansatz, mit dem er ein Wirtschaftssystem auseinandernehmen würde, hat er nicht gefunden. "Kapitalismus - Eine Liebesgeschichte" ist ein Sammelsurium der Anklagen, der gerechtfertigten Anklagen immerhin. Vielleicht ist ein schlüssiger Überblick über die Weltwirtschaft auch längst nicht mehr möglich.

Was aber hat Moore geritten, Gott ins Spiel zu bringen? Er befragt einen katholischen Priester, der ihm - Michael Moore schaut dabei, als würde ihm der Mann gerade das Rezept für kalorienfreie Schokokekse enthüllen - erklärt, dass die Bergpredigt einigen kapitalistischen Grundsätzen widerspricht. Moore sucht sich noch ein paar religiöse Zeugen - und schwupp, steht das Christentum als antikapitalistische Vereinigung da. Vielleicht erzählt einem auch das ganz nebenher ein wenig über Amerika - aber eigentlich verrät es vor allem, dass Moore den Populismus über alle Sinnfragen stellt.

Dabei hat Moore einen viel größeren, wichtigeren Zeugen gefunden - einen relativ unumstrittenen Präsidenten. Das ist dann sogar ein größerer Triumph als der Glaube, Gott auf seiner Seite zu haben. Es geht um ein spektakuläres Fundstück, ein Stück Film, das als verschollen galt. Im Januar 1944 war Franklin Delano Roosevelt zu krank, um die state of the union address vor dem Kongress zu halten, er ließ sie deshalb aufzeichnen, sogar mit Kameras - die Beschwörung eines "Second Bill of Rights".

Diese wunderschöne Ansprache kann man nun in Moores Film sehen - mit all den Ideen, die F. D. Roosevelt formulierte, bevor der Antikommunismus die Vernunft so gründlich besiegte, dass seine Forderungen unter den Verdacht der Staatszersetzung fielen. Es ist die bewegendste Szene. In diesem "Second Bill of Rights" sollte es darum gehen, den vielzitierten Pursuit of Happiness tatsächlich zu ermöglichen - Roosevelt verlangte ein Recht auf Arbeit, auf Lohn, von dem man leben kann, Gesundheitsfürsorge und Bildung für alle, das Recht auf ein Dach überm Kopf - ohne das, so glaubte er, könne es keine Freiheit und keine Unabhängigkeit geben: "Hungernde Menschen, die keine Arbeit haben, sind der Stoff, aus dem Diktaturen gemacht sind."

Es ist ein Geniestreich von Moore, Roosevelt und diese Rede ins Feld zu führen - und für einen Moment lang den Kapitalismus vorzuführen als Feind aller uramerikanischen Werte und Hoffnungen.

CAPITALISM - A LOVE STORY, USA 2009 - Regie, Drehbuch: Michael Moore. Kamera: Daniel Marracino, Jayme Roy. Schnitt: John Walter, Conor O'Neill. Musik: Jeff Gibbs. Concorde, 126 Minuten.

© SZ vom 12.11.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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