Dieser neue Film über das Leben von Max Schmeling kommt jetzt ins Kino, der Boxer Schmeling wird gespielt vom Boxer Henry Maske. Der alte Max hat in einem seiner letzten Interviews, nicht sehr lange vor seinem Tod, den großen Satz gesagt: "Ich habe alles erlebt, wovor man Angst haben könnte." Deutsche Boxerfilme hat er offenbar selten gesehen, sonst hätte er das nicht so leichtfertig behauptet. Ein Kampf über sieben Runden, es geht mal runter und mal rauf.
Erste Runde
"Macho Man" von 1984, mit René Weller als Dany Wagner. Die siebziger, achtziger Jahre, das war in Westdeutschland die große Zeit des Milieu-Boxens. Menschen, die schon mal im Knast gesessen hatten, boxten vor Menschen, die ebenfalls im Knast gesessen hatten oder im Begriff waren, bald wieder im Knast zu sitzen. Man trug im Publikum Sonnenbrillen und Goldkettchen, außerdem durfte man noch rauchen. Im Ring trug man gern Goldhöschen, besonders dieser René Weller, der als heißeste Hose der Szene gehandelt wurde. Er brach die Nasen wie die Herzen. In "Macho Man" geht es um Proletenwürde, es wird viel steindummes Zeug geredet, und René Weller tanzt, wenn er nicht boxt, mit Bea Fiedler, die damals einen Film nach dem anderen gedreht hat, unter anderem "Die nackten Superhexen von Rio Amore." Also, "Macho Man" war kein besonderer Film, aber es gab in dieser Zeit wesentlich schlimmere.
Zweite Runde
"Es geht um alles" von 2008, Dokumentarfilm über den Boxer Arthur Abraham, vor allem über dessen Trainer Ulli Wegner, der Boxfans bekannt ist, weil er in der Ringecke immer vor seinen Boxern sitzt und "auf sie einwirkt", wie er das nennt. Er schreit sie an, er tröstet, er streichelt; er macht sie größer oder redet sie kleiner; er spritzt ihnen Wasser in den Mund, schmiert Vaseline auf Beulen, fängt Blutstropfen mit Watte. Manchmal putzt Ulli Wegner seinen Boxern die Nase. Selten sind sich Menschen näher als Boxer und Trainer während der Rundenpause. Es gibt nicht viele Gründe, sich deutsche Boxkämpfe oder deutsche Boxerfilme anzusehen, Wegner ist einer.
Dritte Runde
"Max Schmeling - eine deutsche Legende" von 2010, mit Henry Maske als Max Schmeling. Interessanter Versuch, den großen Boxer Maske einen noch größeren Boxer spielen zu lassen. Das Problem: Maske ist kein Schauspieler, als Rhetor ist er eher beim großen Berti Vogts einzuordnen als bei Joschka Fischer, schon als Experte in der ARD verirrt er sich oft in einem Labyrinth aus ratlosen Sätzen. Maske kommt als Schmeling sehr langweilig rüber, und womöglich ist das das versteckte Geheimnis dieses Films. Dass er über Schmeling zwar nichts Neues mitteilt, dafür Maske zu dem macht, der er ist. Ein Mann aus Treuenbrietzen, der DDR-Gegenentwurf zum dekadenten Weller: so aufregend wie Christian Wulff, so spröde wie gut abgelagertes Brennholz; ein Boxer, der als Profi mit gutem Grund nie im Ausland geboxt hat. Henry Maske hat mit Max Schmeling so viel gemein wie ein Glas Wasser mit dem Karneval in Rio. Und dass er ihm ähnlich sehe, kann nur behaupten, wer noch nie ein Bild vom Boxer Jack Dempsey gesehen hat, der Schmeling ähnelt wie ein Igel dem anderen.
Vierte Runde
Sie hätten die Maskenbildnerin nach Hause schicken können, wenn Jack Dempsey diesen Schmeling gespielt hätte, aber dazu kam es leider nie, weil Dempsey auch so genug zu tun hatte. Er boxte, und er filmte auch viel. Die Amerikaner haben die besseren Schauspieler als die Deutschen, sie haben die besseren Boxer, sie haben die besseren boxenden Schauspieler und die besseren schauspielernden Boxer. Vermutlich ist "Raging Bull" der beste Boxerfilm aller Zeiten, Robert De Niro als Jake LaMotta. Er spielt den jungen LaMotta und den alten, abgewrackten LaMotta, er frisst sich vierzig Kilo an dafür, und es ist irgendwann kein Boxerfilm mehr, sondern einer über Größenwahn, Verletzbarkeit, man hasst diesen Robert LaMotta und man weint um Jake De Niro, der boxt, wie in Wirklichkeit natürlich keiner boxt: Seine Gegner nehmen die Deckung nie hoch. Amerikanische Boxerfilme sind weiter weg von der Realität und trotzdem näher dran, sie haben mit deutschen so viel zu tun wie amerikanisches Fernsehen mit deutschem, so viel wie "Macho Man" mit "Mad Men": nichts.
Fünfte Runde
"Liebe im Ring" von 1930, mit Max Schmeling als Max. Ein unerfahrener Mann wird umworben von einer raffinierten Frau, es ist eine simple Story, aber das Lied, das Schmeling da knödelt, "Das Herz eines Boxers" heißt es, erzählt tatsächlich etwas über den Boxer Schmeling: "Das Herz eines Boxers muss alles vergessen, sonst schlägt ihn der Nächste knockout." So ungefähr hat er es dann eingerichtet in seinem Leben. Er war kein Nazi, aber hat sich von der Nazi-Propaganda präsentieren lassen. Er hat vielen im Stillen geholfen, aber er hat nicht laut protestiert. Er verließ das Land nicht, er blieb. Es war ein schwieriger Weg: sich arrangieren, aber sich nicht vereinnahmen lassen. Ein spannendes Thema. Man hätte den Boxer Maske nicht damit überfordern sollen.
Sechste Runde
"Der Boxprinz" von 2002, Dokumentation über das Halbschwergewicht Norbert Grupe, der sich Prinz Wilhelm von Homburg nannte und im ZDF-Sportstudio dadurch positiv auffiel, dass er während eines Interviews tat, was im Fernsehen öfter getan werden sollte: Er sagte nichts. Im Film redet er vergleichsweise viel, bei Ebay ist man trotzdem in der Regel einziger Bieter auf die DVD.
Siebte Runde
"Die Bubi Scholz Story" von 1997 mit Benno Fürmann als jungem Bubi Scholz und Götz George als altem. Der Boxer Gustav "Bubi" Scholz war kein Prolet wie René Weller, er war ein Aufsteiger, fleißig, aber immer auch zu weich. Er verführte nicht, er wurde verführt. Als er einen großen Kampf verloren hatte, sagte Schmeling: "König bist du nicht geworden, aber du hast das Schloss gesehen." Scholz war keiner, der es noch mal versucht hätte, König zu werden. Er soff, er prügelte sich, er war wie ein Tanzbär und sah auch fast so aus. Irgendwann hat er seine Frau erschossen, durch die geschlossene Badezimmertür, später hat er davon erzählt, und man konnte spüren, dass auch sein Leben zu Ende gegangen war, als das mit seiner Frau passierte. Als sie ihn aus dem Gefängnis entließen, folgten: Alkoholprobleme, Selbstmordversuch, Schlaganfall, Herzinfarkt, Alzheimer, Demenz. Der Film über sein Leben war dann ganz nah an seinem Leben, die Premiere hätte Scholz noch miterleben können, aber er wusste nichts mehr von den Kämpfen und den Schlägen, und kurz darauf ist er ein zweites Mal gestorben, in Berlin, in einem Pflegeheim.