Im Kino: Mahler auf der Couch:Genialität und Geilheit

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Wien zur Zeit der Secession, das ist eine ganz eigene Variante von "Sex and the City": Die ganze Stadt ist künstlerisch erregt. Percy und Felix Adlons Film "Mahler auf der Couch" über Gustav Mahler und seine große Liebe.

Fritz Göttler

Ein Operndirektor schmeißt hin... Ein letztes Mal kommt Gustav Mahler, Ex-Chef der Wiener Hofoper, mit Familie an die Stätte seines langjährigen erfolgreichen Wirkens, ein paar Mitarbeiter stehen da im Treppenhaus und ein paar Journalisten. Man ist gereizt, Alma schimpft, die Journalisten keifen. Und seine Sängerinnen, klingt es boshaft aus dem Haufen, hat er alle gepudert ...

Johannes Silberschneider als Gustav Mahler (l.) und Karl Markovics als Sigmund Freud . (Foto: ag.ddp)

Wien, kurz nach der vorletzten Jahrhundertwende, zur Zeit der Secession, das ist eine ganz eigene Variante von Sex and the City. Die ganze Stadt ist künstlerisch erregt. Voll mit anschaulichsten Fallbeispielen, wie Genialität und Geilheit zusammengehen.

Gustav Mahler ist der um einiges jüngeren Alma Schindler verfallen, umwirbt sie, heiratet sie, fährt mit ihrer Hilfe seine Kreativität und seinen künstlerischen Output hoch - keine schreibt so schön wie sie die Blätter seiner Partituren. Auch die Kamera von Benedict Neuenfels ist ganz leidenschaftlich her hinter Barbara Romaner als Alma.

Dann kommt im Sommer 1910 der schreckliche Brief, an Mahler adressiert, aber an Alma gerichtet, von Walter Gropius. Mahler liest. Gropius schreibt über das Liebesverhältnis, das seit einiger Zeit zwischen ihm und Alma besteht. Eine Katastrophe. Wie in Romanen, schreibt Adorno in seiner Mahler-Studie, gedeiht bei Mahler Glück am Rand der Katastrophen.

Unterdrückung und Unterwerfung

"Mahler auf der Couch" von Vater Percy und Sohn Felix Adlon ist ein kleiner Film über die Liebe, ein großes Melo über das Verlangen, den Trieb, die Selbstverwirklichung. Über Unterdrückung und Unterwerfung. Über die Hingabe, den Überschwang. Die Jahre mit Alma, a time to love and a time to die.

Mahler sucht Rat wegen der verdrucksten Affäre. Er fährt nach Leyden, Holland, dort macht Sigmund Freud Ferien, der ihm dann, zögerlich und unwillig, ein paar Stunden widmet. Zwei Ikonen der Wiener Kulturgeschichte (Johannes Silberschneider und Karl Markovics), in einer merkwürdigen Session im kühlen Norden. Sie wird am Ende das Geheimnis dieser Liebe nicht lösen, aber das ist ja das große Missverständnis, was die Psychoanalyse angeht und auch die Kinematographie - dass sie im Grunde gar keine Erklärungen und keine Eindeutigkeit bieten können und nicht Partei nehmen mögen für einen der Beteiligten.

Wie können Sie das denn wissen, Sie waren doch gar nicht dabei, unterbricht Freud Mahlers Erzählung, und der: Alma hat es mir erzählt, eines ihrer vielen Dacapos. Psychoanalyse und Kino, die Kunst der Wiederholung. Für dich, Almschi, jubelt Gustav Alma nach Vollendung seiner Sechsten, sie kontert mit ihrem ersten Kind: für dich, Gustav.

Weil die Mutterschaft ihnen versagt ist, diese beunruhigende Vorstellung kreiselt am Grund der Psychoanalyse, stürzen sich die Männer umso verbissener auf andere Hervorbringungen. Geschichte des brechenden Herzens nennt Adorno, der mitgeholfen hat, die Psychoanalyse in die Sozialwissenschaft einzubringen, Mahlers Musik: "Wie in den großen Romanen ... soll die ephemere Erfüllung alles andere aufwiegen: an keine Gestalt von Ewigkeit glaubt er als an die vergängliche."

MAHLER AUF DER COUCH, D/Öst 2010 - Regie: Percy Adlon, Felix Adlon. Bildgestaltung: Benedict Neuenfels. Musik: Esa-Pekka Salonen dirigiert das Schwedische Radio-Sinfonieorchester. Mit: Johannes Silberschneider, Karl Markovics, Barbara Romaner, Friedrich Mücke, Eva Mattes. Kinowelt, 101 Minuten.

© SZ vom 13.07.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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