Im Kino: "Green Zone":Anarchie und Dekadenz

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Taubendreck statt Massenvernichtungswaffen: Green Zone ist ein kleines Lehrstück zur berühmten, aber banalen Erkenntnis, dass im Krieg das erste Opfer die Wahrheit ist.

Fritz Göttler

Ein Handzeichen in der morgendlichen Einsatzbesprechung in Bagdad, das ist doch eher unpassend fürs amerikanische Militär. Zu diesem Zeitpunkt des Tages sollte man eigentlich das Gefühl haben, dass alles seine Ordnung hat und seinen Sinn. Aber der Chief Warrant Officer Roy Miller will's nun doch wissen und hebt die Hand: Wie das denn sei mit der Information, der sein Trupp heute nachgehen soll - ob die Quelle dafür zuverlässig sei. Weil: Einige Male sei man nun schon losgeschickt worden und nichts hätte man am angegebenen Ort gefunden, außer Maschinenschrott und Taubendreck. Keine Massenvernichtungswaffen Saddams, deretwegen man doch überhaupt einmarschiert sei in den Irak.

Zwischen Banalität und absurder Effizienz

Die amerikanische Präsenz 2003 in Bagdad, in den Wochen und Monaten nach dem Einmarsch, ist eine Groteske. Die Militärs in der Besprechung sind überfragt, aber zuversichtlich und beflissen: Jaja, alles ist okay, eine zuverlässige Quelle, ein Informant, man muss eben schnell sein bei so einem Einsatz . . . Alle möchten schnell zur Tages-Ordnung zurück. Der pure Glaube verbindet, an die große Ordnung, an den unsichtbaren Wizard, der hinter den Kulissen alles dreht. Das Handzeichen hat Folgen, schon interessieren sich eine Reporterin des Wall Street Journal und ein CIA-Mann, der hier bemerkenswert gut wegkommt, für den Chief, Amy Ryan und Brendan Gleeson. Und sein Gegenspieler positioniert sich, ein Pentagon-Mann, von Greg Kinnear gespielt. Man kann, wenn man mag, wirkliche Figuren aus dem Hexenkessel damals in ihnen erkennen.

Green Zone ist ein kleines Lehrstück zur berühmten, aber eher banalen Erkenntnis, dass im Krieg das erste Opfer die Wahrheit ist. Das Gefälle zwischen der Banalität und der absurden Effizienz, die sie dennoch hervorbringt, ist die Angelegenheit von Matt Damon, als Chief Miller. Er verkörpert voll amerikanische Konsequenz, jene stupende Berechenbarkeit, die ihn am Ende so unberechenbar macht. Matt Damon ist seit zwanzig Jahren der große Naive des amerikanischen Kinos, er ist wie eine jener mechanischen Figuren, die, einmal aufgezogen, stur drauflos wackeln, ohne sich beirren zu lassen - das Geheimnis der Bourne-Identität!

Hektisch entfesselte Kamera

Matt Damon war Good Will Hunting und der talentierte Mr. Ripley und, eben erst, der unbekümmert-unbedarfte Wirtschaftsspion in Steven Soderberghs Der Informant!. Sie alle stehen, bei aller Naivität, schwer unter Ironieverdacht. Was man von Regisseur Paul Greengrass nicht unbedingt sagen kann. In Green Zone haben er und Matt Damon ihr Bourne-Erfolgsprinzip, die hektisch entfesselte Kamera, in eine Kriegszone verlegt, aber der Effekt geht nun gerade andersherum. Aberwitzige Erfahrungen wurden möglich auf der Leinwand, als eine irreale Figur auf eine konkrete Realität traf - der identitätslose Bourne, wie er durch die Großstädte der Welt hetzt, sich selbst suchend in seinem Handeln -, nun zieht eine sehr reale Figur, ein moralisch standfester Held durch eine Welt, die völlig irreal ist.

Das amerikanische Publikum mag nicht den Irakkrieg im Kino. Der große Oscar-Gewinner The Hurt Locker von Kathryn Bigelow war an der Kinokasse ein elender Flop gewesen - und wird hartnäckig von allen möglichen Seiten bekrittelt - da gäbe es einen Haufen Ungenauigkeiten in der Darstellung des militärischen Lebens, falsche Humvees und unzeitgemäße Uniformen, ein Soldat klagt gerichtlich, weil er im Helden des Films, dem manischen Bombenentschärfer, sich erkennbar glaubt.

Nur in den militärischen Stützpunkten soll der Film gern gesehen sein. Auch Green Zone hat am vorigen Wochenende gerade mal vierzehneinhalb Millionen Dollar in Amerika eingespielt, der Spitzenreiter Alice im Wunderland dagegen, in seiner zweiten Woche, 62 Millionen. Natürlich weiß das Publikum längst, dass das Irak-Unternehmen die traditionellen Vorstellungen vom Krieg definitiv ad absurdum geführt hat; dass es Kriege nicht mehr geben wird, die ein konkretes, nachvollziehbares, handfestes Ziel haben - und durch diese Vorgabe auch einen Anfang, eine Strategie und ein Ende; dass eine Erzählung des Kriegs, in Literatur und Kino, im klassischen Sinn nicht mehr möglich ist. Die neuen Kriege gehören dem Fernsehen und dem Internet. So sieht es auch Paul Greengrass, der Green Zone als Test begreift für die Wirklichkeit der Bourne-Paranoia, schon seit 2004 hat er an dem Projekt gearbeitet.

Politiker und Agenten leben im Swimmingpool

Man darf seine entfesselte Kamera nicht dokumentarisch sehen, sie ist nicht auf Authentizität aus, sondern produziert Erregungszustände. Spannender als in seinen Actionsequenzen ist Green Zone immer dann, wenn es um die schaurige Glücksspieler- und Goldgräbermentalität geht, die der Irakkrieg provozierte, die Halliburton-Aura. Rajiv Chandrasekaran hat sie in seinem Buch Imperial Life in the Emerald City, das den Film stark inspirierte, entwickelt. Dieses unfassliche Nebeneinander von Anarchie und Dekadenz, dieses Bild eines zerstörten, dysfunktionalen, ausgebeuteten Landes, in dessen Mitte eine Enklave liegt, in der aller moderner Luxus verfügbar ist, die Emerald City, die Green Zone, das Viertel, wo die Militärs, Politiker, Agenten, Geschäftemacher leben am Swimmingpool, brutal abgeschottet vom Chaos. Man sieht wie Chief Miller sich in seinem Palastzimmer für die Ausfahrt rüstet, in schwerer Kampfmontur durch die Korridore stapft, ein fröhlicher Fremdkörper in einer durchgeknallten Welt.

GREEN ZONE, USA/GB 2010 - Regie: Paul Greengrass. Buch: Brian Helgeland. Kamera: Barry Ackroyd. Schnitt: Christopher Rouse. Mit: Matt Damon, Greg Kinnear, Brendan Gleeson, Amy Ryan, Jason Isaacs, Khalid Abdalla, Yigal Naor. Universal, 115 Minuten.

© SZ vom 17.3.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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