Musiklegende Quincy Jones:Berühmt wurden wir aus Versehen

Lesezeit: 8 Min.

Er spielte mit Ray Charles, arbeitete mit Frank Sinatra - und Michael Jacksons Album "Thriller" machte Quincy Jones dann zum erfolgreichsten Musikproduzenten aller Zeiten. Eine Begegnung in Berlin.

Katharina Riehl

Quincy Jones hat in deutschen Medien in den vergangenen 20 Jahren so gut wie keine Interviews gegeben. Internet und Castingindustrie haben die Branche, die der Produzent von Michaels Jacksons Top-Alben Thriller, Bad und Off the Wall wie kaum ein anderer geprägt hat, inzwischen völlig verändert. Doch jetzt ist Quincy Jones zu sprechen, er ist in Berlin, auf der Internationalen Funkausstellung steht der 77-Jährige Pate für AKG-Kopfhörer. Heute sei er "ganz gut drauf", sagt der nette Mann der Kopfhörer-PR-Firma, der den Gast in der Lobby empfängt. Was das heißt? "Man versteht ihn ganz gut."

Schon in den fünfziger Jahren produzierte Quincy Jones Musik von Frank Sinatra, Count Basie und Duke Ellington - bis ihn seine Arbeit mit Michael Jackson endgültig zum wohl wichtigsten Mann der Musikindustrie machte. Heute ist Quincy Jones 77 Jahre alt - im November erscheint ein neues Album mit Musik von Usher, LL Cool J und Jennifer Hudson. (Foto: Foto: AP, Grafik: sueddeutsche.de)

Quincy Jones ist eine Legende der Branche. Er war Manager, Arrangeur, Jazztrompeter, Orchesterleiter, Komponist. Er ist ein Jugendfreund von Ray Charles, gearbeitet hat er aber mit fast allen Jazz-Größen. 1989 hatte er mit Back on the Block selbst noch einmal ein Hit-Album. Im November erscheint seine neue Platte Q: Soul Bossa Nostra .

Quincy Jones sitzt in einem der Sessel seiner Suite, er trägt einen dunkelblauen Anzug mit hellen Streifen über einem ziemlich orangen Hemd. Dazu: Sonnenbrille. Seine ebenfalls gestreift besockten Füße stehen auf dem Teppichboden, er löffelt eine giftig grüne Suppe. Er schaut nur kurz und mäßig interessiert auf, als der Besuch ins Zimmer kommt. Schräg gegenüber nimmt der Herr von der deutschen PR-Agentur Platz, neben Jones sitzt seine Assistentin, die ebenfalls Suppe isst.

sueddeutsche.de: Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich frage, während Sie löffeln?

Quincy Jones: Nein!

sueddeutsche.de: Mr. Jones, ich würde gerne ein wenig mit Ihnen über den Wandel in der Musikindustrie sprechen.

Jones: Über was?

sueddeutsche.de: Die Musikindustrie.

Er nickt. Gut. Zum Warmwerden ist vielleicht eine Anekdote aus seiner Autobiographie geeignet, damit er merkt, dass das junge Ding aus Deutschland seine Hausaufgaben gemacht hat.

sueddeutsche.de: Sie beschreiben in Ihrem Buch die ganze Musikbranche als eine einzige große Familie. Sie erzählen, dass Sie mit Ray Charles oder Frank Sinatra nie irgendwelche Verträge hatten, dass Sie alles nur per Handschlag ausgemacht haben.

Jones: Was meinen Sie?

Er hört wohl nicht sehr gut - ziemlich passend, die Kopfhörer-Patenschaft. Also noch mal, lauter:

sueddeutsche.de: Sie schreiben, dass Sie nie Verträge hatten, Handschlag reichte.

Jones: Ja, genau. Das ist der Unterschied zu einem Vertrag mit einem großen Unternehmen. Unternehmen haben immer Verträge mit vielen sehr klein gedruckten Zeilen. Und sie haben das Ziel, möglichst viel aus einer Sache herauszubekommen. Ein Handschlag hat etwas bedeutet. Das ist mir sehr wichtig.

Er scheint sich ein wenig warmzulaufen, schaut sogar manchmal zur Fragestellerin hinüber, soweit man das hinter der coolen lila Sonnenbrille mit Sicherheit überhaupt sagen kann. Mal versuchen, ob man das Gespräch auf heute lenken kann.

sueddeutsche.de: Ist diese Art von Geschäftemachen heute noch denkbar?

Jones: Es gibt immer noch solche Menschen. Im Musikbusiness nicht viele, aber alle Menschen, mit denen ich zu tun habe, sind so. Ich bin jetzt in einer Phase meines Lebens angelangt, in der ich nur das mache, worauf ich Lust habe, mit den Menschen, die ich liebe und respektiere.

sueddeutsche.de: Aber die Regel sind solche Handshake-Deals doch heute sicher nicht. Die meisten jungen Leute, die heute eine Karriere anfangen, geraten an die große Firma, die mit vielenklein gedruckten Zeilen möglichst viel Geld mit einem jungen Menschen verdienen will?

Jones: Es gibt alle möglichen Deals. Die Plattenindustrie hat nicht mehr die Bedeutung, die sie einmal hatte. Eine Firma wie Life Nation zahlt Stars wie Madonna oder Jay-Z 15 Millionen Dollar für alles: Auftritte, Merchandising, alles im Voraus.

So war die Frage nicht gemeint. Neuer Versuch, diesmal direkter.

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sueddeutsche.de: Was denken Sie über die Casting-Industrie, die inzwischen einen so großen Teil der Pop-Szene ausmacht.

Quincy Jones (hier ein Bild aus dem Jahr 1990) war dreimal verheiratet und hat insgesamt sieben Kinder, darunter auch aus einer Beziehung mit der deutschen Schauspielerin Nastassja Kinski eine Tochter. (Foto: dpa)

Jones: Die was?

sueddeutsche.de: Die Casting-Industrie?

Jones: Casting?

sueddeutsche.de: Casting-Shows im Fernsehen, aber auch allgemein. Das systematische Auswählen von Musikern, die dann mit einem Hit und viel medialem Hype möglichst schnell berühmt gemacht werden.

Jones: Was meinen Sie?

Quincy Jones würzt seine Suppe, es ist nicht ganz klar, ob er einfach nichts hört, das Phänomen nicht kennt, oder ob ihn die Frage einfach kein bisschen nicht interessiert. Ein letzter Versuch:

sueddeutsche.de: Casting-Shows wie American Idol zum Beispiel.

Jones: Ach, Talent-Shows.

Hurra!

Jones: American Idol war größer als die Oscars, die Grammys und die Olympischen Spiele. Diese Sendung bedient das menschliche Bedürfnis zu denken, dass wir etwas in der Hand haben. Dass wir jemanden zum Star machen und ihn dann aber auch wieder herunterholen können. Dieses Bedürfnis hat es immer gegeben, aber jetzt gibt es ein organisiertes Format dafür.

Jetzt ist klar, was der freundliche PR-Mann vorhin meinte: Die grüne Suppe macht es nicht leichter, Quincy Jones' nicht auf Talkshow geschliffenes Englisch zu verstehen.

sueddeutsche.de: Sie und Ray Charles haben Ihre Karriere in kleinen Bars begonnen, Sie sind von kleiner Bühne zu kleiner Bühne getourt, bevor Sie berühmt wurden ...

Jones: Ich hatte nie das Ziel, berühmt zu werden. Als wir anfingen, waren Geld und Ruhm das Letzte, woran wir gedacht haben. Das war mit der Musik, die wir gespielt haben, auch gar nicht denkbar. Wir haben uns für die Musik interessiert, berühmt wurden wir dann aus Versehen.

sueddeutsche.de: Bedeutet die Castingindustrie nicht das exakte Gegenteil von dem, wie Sie und Ray Charles Karriere gemacht haben? Weil man heute ja nur aus dem einem Grund bei so etwas mitmacht: um berühmt zu werden?

Jones: Sie wollen alle reich und berühmt sein, in den meisten Fällen sind sie aber zu faul, an ihrem Handwerk zu arbeiten. Es gibt heute so viele Kommunikationsmöglichkeiten, die wir alle nicht hatten. Als wir anfingen, gab es nur Radio, 1951 haben wir die erste Fernsehsendung gemacht. Jetzt gibt es alles, Satellit, Internet. Alles. Jeder auf der Welt hat nicht nur ein, sondern zwei Handys. Wie viele haben Sie?

sueddeutsche.de: Eins.

Jones ( zur blonden Assistentin): Und du?

Assistentin: Auch eins.

PR-Mann: Ich habe drei.

Vor Lachen nimmt Quincy Jones jetzt tatsächlich die Sonnenbrille ab.

Jones: Das gleicht die anderen beiden aus. Jeder auf der Welt hat mindestens zwei Handys. Und einen Laptop. Jeder auf der ganzen Welt.

Er strahlt jetzt. Man weiß nicht genau wie, aber es scheint ihm gelungen zu sein, von einer Frage über junge Sänger auf sein Lieblingsthema, das Handy, umzulenken.

Jones: Es ist unglaublich. Und es hat Einfluss auf die Gesellschaft, wissen Sie.

sueddeutsche.de: Weil die neuen Medien sehr viel schnelleren Ruhm möglich machen?

Nein, keine Chance, ihn schon wieder auf den geplanten Pfad des Gesprächs zurückzuholen, Quincy Jones will über das verrückte Medium Mobiltelefon sprechen.

Jones: So sitzen dann alle da. ( Quincy Jones zieht seine Hände nahe an sein Gesicht und fängt an, mit seinen Daumen auf ein imaginäres Handy einzudrücken.) Überall auf der Welt. Und ich war schon überall. Abu Dhabi, Shanghai, Brasilien. Überall auf den Straßen sitzen Leute. ( Er zieht wieder die Handy-Hände vors Gesicht.)

Der nächste Löffel Suppe muss genutzt werden: Noch einmal ein Versuch zur heutigen Generation von Pop-Sängern.

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sueddeutsche.de: Als Sie anfingen, standen Sie auf der Bühne, heute vermarkten sich junge Künstler vor allem online. Sie stellen ihre Lieder ins Netz. Ist die Website die Kneipenbühne dieses Jahrtausends?

Jones: Bei uns ging alles sehr viel weniger schnell. Und das ist okay, weil sich die Kunst von jemandem wie Ray Charles und Stevie Wonder ganz anders entwickeln konnte. Sie haben lange und hart an sich gearbeitet. Es war ein langer Prozess.

sueddeutsche.de: Dafür hat der Ruhm dann auch länger gehalten.

Jones: Eben deshalb.

sueddeutsche.de: Heute ist man innerhalb weniger Wochen auf der ganzen Welt berühmt.

Er nickt jetzt heftig, während er weiter in seiner Suppe rührt.

sueddeutsche.de: Hat das nicht ein ganz anderes Verhältnis zwischen Künstler und Produzenten zur Folge? Geht es heute mehr als früher darum, möglichst schnell möglichst viel Geld aus jemandem herauszupressen?

Jones: Herauszupressen? Wie soll das denn gehen? Du musst ihm einen Hit schreiben.

Jetzt lacht er wieder fast so laut wie bei seiner Mobiltelefon-Umfrage.

sueddeutsche.de: Aber gerade die Stars, die im Fernsehen gefunden werden, bekommen Knebel-Verträge mit irgendwelchen Produktionsfirmen - da geht es doch nicht um die behutsame Entwicklung eines Künstlers, sondern darum, schnell Geld zu machen, solange der Ruhm der Show noch anhält.

Jones: So etwas mag es geben. Aber ich denke nicht, dass es die Regel ist. Im Allgemeinen gibt es faire Verträge - und wenn ein Song ein Hit wird, dann verdienen alle Geld. Wenn er kein Hit wird, dann gibt es auch nichts auszuquetschen.

Okay, ein anderes Thema.

sueddeutsche.de: Die Plattenverkäufe sind seit Jahren im Keller . . .

Jones: . . . das ist vorbei. Nicht die Liebe zur Musik - aber als es noch Vinyl gab, war das eine völlig andere Situation als mit der digitalen Verbreitung. Jede CD ist eine Masterplatte - man kann sie endlos kopieren.

sueddeutsche.de: Und die Menschen sind nicht mehr bereit, so viel Geld für Musik zu bezahlen wie früher.

Jones: Sie wollen gar nichts mehr bezahlen. Es ist eine ganze Generation herangewachsen, die nie für Musik bezahlt hat.

sueddeutsche.de: Wird sich da noch mal etwas ändern?

Jones: Es muss sich ändern. Aber niemand weiß, wo man damit anfangen soll, die Plattenfirmen sind in riesigen Schwierigkeiten. Wenn du 95 bis 99 Prozent Piraterie hast ...

sueddeutsche.de: Hat iTunes, der Online-Verkaufsladen von Apple, nicht geholfen? Das war doch zumindest ein Schritt in die richtige Richtung - immerhin wird überhaupt für Musik im Netz bezahlt.

Jones: Wenn ein Teenager 10.000 Singles auf seinem iPod hat, dann hilft das der Plattenindustrie kein bisschen. Es hilft Apple. Eine Single kostet bei iTunes 99 Cent, mal abgesehen davon, dass das zu billig ist: Früher war eine Single so etwas wie ein Werbespot für ein ganzes Paket. Wenn in einem Paket nur ein einziger Hit enthalten ist, wer zahlt denn dann zehn, 13, 15 Dollar dafür?

sueddeutsche.de: Also ist es auch ein Fehler der Plattenfirmen?

Jones: Die Fehler liegen auf beiden Seiten. Die letzten beiden Alben, die ich mit Michael Jackson gemacht habe, hatten sieben Titel unter den besten fünf. Darunter waren fünf Nummer-eins-Hits - das ist es wert, das ganze Paket zu kaufen. Alle müssen sich zusammenreißen, aber so wie früher wird es nicht mehr werden.

Das scheint ein Thema zu sein, über das er lieber spricht. Er scheint plötzlich auch ganz gut zu hören.

Jones: Schauen Sie sich die heutigen Zahlen an im Vergleich zu denen in den achtziger Jahren. Die Black Eyed Peas zum Beispiel, die hatten vier unglaubliche Hits auf der ganzen Welt, raten Sie mal wie viele Alben die verkauft haben: 2,3 Millionen in zwei Jahren, das ist ein Desaster.

Klar, Jones ist da andere Zahlen gewöhnt, Thriller hat sich 110 Millionen mal verkauft.

sueddeutsche.de: Können Sie der Tatsache etwas Positives abgewinnen, dass wegen der sinkenden Plattenverkäufe wieder mehr getourt wird?

Jones: Den jungen Künstlern hilft das nicht. Um mit Tours Geld zu verdienen, musst du schon berühmt sein. Klar, wenn Bono oder Meat Loaf heute ein Konzert spielen, dann kommen Tausende. Ich war vor zwei Jahren mit den Rolling Stones in Brasilien, da waren 1,5 Millionen Menschen an der Copacabana. Aber die hatten viele, viele Hit-Alben.

Quincy Jones schweigt kurz, denkt sichtbar nach.

Jones: Wissen Sie, ich komme aus einer Zeit, in der die Menschen eher Musik gekauft haben als etwas zu essen. Es war Nahrung für die Seele . . .

sueddeutsche.de: ... die es jetzt umsonst bei YouTube gibt.

Jones: Ich glaube trotzdem, dass die letzten beiden Dinge, die diese Welt verlassen werden, Musik und Wasser sein werden. Man kann nicht ohne Musik. Können Sie?

sueddeutsche.de: Wahrscheinlich nicht.

Jones: Wie lange können Sie?

sueddeutsche.de: Ein paar Tage vielleicht, wenn ich müsste.

Jones: Sie könnten keine Woche.

Der Pressesprecher schaut auf die Uhr, noch fünf Minuten sagt er. Also schnell. Was ein Quincy Jones, der zu einer Zeit berühmt wurde, als Schwarze in Bussen noch hinten sitzen mussten, und hinter Martin Luther Kings Sarg hergelaufen ist, wohl über Barack Obama denkt?

sueddeutsche.de: Wie viel bedeutet Ihnen der erste schwarze Präsident?

Jones: Er bedeutet mir sehr viel. Er hat einen schrecklichen Job, weil er das ganze Chaos aufräumen musste, das sein Vorgänger ihm hinterlassen hat. Irak, Afghanistan, die Kriege.

sueddeutsche.de: Wie wichtig, glauben Sie, waren Sie und die schwarze Musik dafür, dass heute ein schwarzer Präsident in den USA überhaupt möglich ist?

Jones: Sehr wichtig. Aber nicht nur die Schwarzen haben für Obama gestimmt, sondern auch viele Weiße. Trotzdem gibt es derzeit in vielen Gegenden Entwicklungen, die mir wirklich Angst machen. Man spürt zum Teil eine Mentalität wie zur Zeiten der Sklaverei, Dinge wie die Einwanderungspolitik in Arizona - dann sind wir bald wieder da, wo wir einmal angefangen haben.

sueddeutsche.de: Und wie erklären Sie sich diese Rückschritte?

Quincy Jones seufzt und blickt ein wenig streng herüber. Was für eine Frage, denkt er sichtlich: Ich bitte Sie, wir haben einen schwarzen Präsidenten. Manche Menschen werden sich damit nie anfreunden können.

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