Im Gespräch: Paul Feig:"Verzweiflung ist gut"

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Nerds, Geeks und Freaks: Regisseur Paul Feig liebt Außenseiter, die sich gegen das System entschieden haben oder von ihm zurückgewiesen wurden. Trotzdem hat er mit seiner Komödie "Brautalarm" in den USA einen riesigen Erfolg gelandet. Ein Gespräch über Geschmacklosigkeit und Kontrollverlust.

Anke Sterneborg

"Freaks and Geeks" hieß die TV-Serie, mit der er sich 1999 profilierte, und damit sind auch die Helden beschrieben, mit denen Paul Feig sich am liebsten beschäftigte - ausgeflippt, monströs -, als Produzent, Regisseur und in vielen Auftritten vor der Kamera.

Paul Feig (rechts) mit Brautalarm-Darstellerin Kristen Wiig: "Ich mag lakonische, gelassene Komödien, doch mir persönlich liegen die leidenschaftlichen mehr, die gleich mit einem Paukenschlag anfangen." (Foto: Getty Images)

SZ: Wenn man Ihren Film sieht, bekommt man den Eindruck, dass Sie auf einer Mission sind. Wollen Sie Nerds und Geeks, Freaks und Fatties besonders cool und liebenswert aussehen lassen?

Paul Feig: Damit ist eigentlich das Wichtigste über meine Arbeit gesagt! Ich liebe Geschichten über Menschen, von denen Hollywood normalerweise nicht erzählt. Da geht es meist um schöne, erfolgreiche Menschen - die ja auch sehr nett sind, aber mich nicht wirklich interessieren. Die Leute, mit denen ich aufwuchs, meine Freunde sind anders, und ich selber bin auch so ein Weirdo. Ich liebe Außenseiter, die sich gegen das System entschieden haben oder von ihm zurückgewiesen wurden.

SZ: Ihre TV-Serien wie "Freaks and Geeks" haben sich stark aus Ihren Jugenderfahrungen gespeist. Wie war das nun, als es in "Brautalarm" um Frauen ging, Frauen das Drehbuch schrieben?

Feig: Beim Lesen konnte ich mich sofort mit der Geschichte identifizieren. Wenn man das weibliche Element mal aus der Gleichung herausnimmt, bleibt eine Geschichte über jemanden, der eine schwierige Lebensphase durchmacht, der wegen äußerer Umstände, für die er nichts kann, scheitert und in eine Abstiegsspirale gerät. Damit können sich Frauen und Männer gleichermaßen identifizieren. Ich liebe Geschichten über fast tragische Figuren, die beim Versuch, das Richtige zu tun, immer nur noch mehr Falsches tun, weil mir das auch dauernd passiert.

SZ: Was haben Sie getan, um den Tonfall unter Frauen richtig zu treffen?

Feig: Meine einzige Recherche bestand darin, starke Frauen zu engagieren und ihnen das Ruder zu übergeben. Wir haben schon während des Schreibens mit den Proben angefangen, mit Situationen gespielt, sehr viel improvisiert und das alles dann ins Drehbuch eingearbeitet. Die Schauspielerinnen haben die Feinarbeit und die Recherche für uns geleistet.

SZ: Um als Frau im Männeruniversum des (Produzenten) Judd Apatow überleben zu können, muss man schon ein ganz bestimmter Typ sein, so wie Tina Fey, Cameron Diaz, Leslie Mann, oder?

Feig: Das ist eine ganz bestimmte Art der Performance, die unabhängig vom Geschlecht ist. Es geht darum, eins mit sich selbst zu sein, und die Figuren im Grunde nur als leicht zugespitzte, modifizierte Version von sich selbst zu spielen, zu improvisieren. Ein Schauspieler, der diese Fähigkeiten nicht hat, würde bei uns gar nicht über das Vorsprechen für die Rolle hinauskommen.

SZ: Wie viel verdanken Sie den Farrelly-Brüdern - diesen Pionieren der politisch unkorrekten Komödie?

Feig: Die haben ganz sicher den Weg freigeschossen, "Verrückt nach Mary" hat sehr viel bewegt. Im Stil ähneln wir uns ganz stark, wir gehen von sehr geerdeten Geschichten aus, um sie dann so weit wie möglich zu überspannen. Ich fühle mich ihnen jedenfalls sehr nah.

SZ: In "Brautalarm" schicken Sie fünf Frauen mit einer Lebensmittelvergiftung in eine edle Brautkleiderboutique. Haben Sie einen Ehrgeiz, immer neue Geschmacksgrenzen zu übertreten?

Feig: Wir fragen uns einfach, was die Leute noch nicht gesehen haben - aber eben nicht auf eine willkürliche Weise. Diese Szene im Hochzeitsgeschäft ist ja nicht einfach nur eine Ekelszene . . . Da ist diese Frau, die kein Geld hat, die für diese Brautjungferntruppe verantwortlich ist, sie will Eindruck schinden vor dieser wohlhabenden, scheinbar perfekten Frau, mit der sie um die Gunst ihrer Freundin konkurriert, und gibt vor, jemand zu sein, der sie nicht ist. Wir wollten die lustigste Art finden, um das zu vermitteln.

SZ: Gab es bei solchen Szenen Widerstand der Produzenten?

Feig: Nein, die haben uns unterstützt. Donna Langley, die Universal leitet, sagte nur: "Lass es nicht geschmacklos werden!" Eigentlich wollten wir von jeder Szene eine saubere Version drehen, merkten dann aber, dass die Frauen beim Improvisieren immer stärker auf die Tube drückten. Beim ersten Test-Screening lief es dann so gut, dass von einer sauberen Version nicht mehr die Rede war.

SZ: Sie haben viel Fernsehen gemacht - genießen Sie da größere Freiheiten ?

Feig: Interessante Frage, in gewisser Weise ja - es ist befreiend, dass weniger Zeit fürs Mikromanagement bleibt. In der Planungsphase gibt es viele Leute, die reinreden, aber wenn das Ganze erst mal läuft, fehlt die Zeit für solche Einmischungen, das heißt, man kann mehr experimentieren. Dazu kommt die Freiheit, den Bogen einer Geschichte über den Lauf von Jahren zu spannen, statt alles auf neunzig Minuten zu kondensieren.

SZ: Was war Ihre wichtigste Lektion beim Fernsehen?

Feig: Dass zumindest das amerikanische Publikum sehr intolerant gegenüber Charakteren ist, für die es keine Erlösung, keinen Freispruch gibt. Nehmen Sie nur "The Office", in der britischen Version spielt Ricky Gervais einen richtigen Kotzbrocken, man verzeiht ihm nur schwer, aber gerade darum ist er so komisch. In Amerika heißt es dann: Die Leute mögen Steve Carell, den können wir nicht zu so einem bösen Typen machen.

SZ: Glauben Sie, dass jede Komödie ihre Wurzeln in der Verzweiflung hat?

Feig: Leute, die alle Fäden in der Hand halten, haben nichts Komisches an sich. Komisch ist, wenn sie nur glauben, sie hätten die Kontrolle, weil sie dann Fehler machen, und damit die Dinge ins Rollen bringen. Verzweiflung ist gut, weil sie einen dazu bringt, Dinge zu tun, die man unter normalen Umständen nie tun würde. Ich mag lakonische, gelassene Komödien, doch mir persönlich liegen die leidenschaftlichen mehr, die gleich mit einem Paukenschlag anfangen - etwa der Sexszene in "Brautalarm"! Das funktioniert wie die Legende in einer Landkarte, man hat sofort den richtigen Maßstab.

© SZ vom 21.07.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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