Hörenswert:Klang ertasten

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Die neue CD des Komponisten Johannes X. Schachtner

Von Michael Stallknecht

Auf einem einzigen Ton verharrt die Posaune, gerät ins Zittern, manchmal ins Schlingern oder rutscht versehentlich auf einen benachbarten ab, der prompt besonders laut herauskommt. Keine Frage: Sie will da nicht weg. Wie Bartleby, der Schreiber, in Herman Melvilles gleichnamiger Erzählung, dessen Lieblingssatz Johannes X. Schachtner zum Titel des Eröffnungsstücks für Soloposaune auf seiner jüngsten CD gemacht hat: "I would prefer not to" - "ich möchte lieber nicht". Für "Sammelsurium", erschienen bei Solo Musica, hat der Münchner Komponist Stücke für die beiden Instrumentengattungen kombiniert, mit denen er selbst am engsten vertraut ist: die Blechbläser, weil er in seiner Jugend viel Trompete gespielt hat, und das Klavier, das für ihn unentbehrlich ist.

Dabei macht der in der Münchner Szene und darüber hinaus äußerst rührige Schachtner so gar nicht den Eindruck, als ob er lieber nicht möchte. Als Komponist mit umfangreichem Werkregister in allen Gattungen beteiligt er sich beispielsweise schon lange an der Leitung des Festivals "Adevantgarde". Als Dirigent hat er unter anderem mit "Jumble" das erste bayerische Jugendensemble für Neue Musik ins Leben gerufen und soeben gemeinsam mit der Geigerin Julia Fischer und dem auch auf seiner CD zu hörenden Pianisten Henry Bonamy die Kindersinfoniker.

Die beiden Seiten von Melvilles Erzählung meint man hier immer wieder durchzuhören: komisch an der Grenze zur Skurrilität, aber auch abgründig in der Melancholie. Da bläst etwa der erste Trompeter den Beginn des titelgebenden "Sammelsurium Nr. 1 für vier Trompeten" auf dem Mundstück, was ein bisschen kläglich nach Karnevalströte klingt. In "Natur / Ton / Tanz" finden die folkloristisch anmutenden Rufe von Naturhorn und Naturtrompete mit dem zunächst nur als Schlagzeug gebrauchten und obendrein wohltemperiert gestimmten Klavier irgendwann zu einem lustig synkopierten Dreierrhythmus zusammen, bis das Klavier ihm mit heftigen Schlägen wieder den Garaus macht.

Schachtner baut seine Kompositionen gern aus einfachen, elementaren Materialien, auch mit dem Dreiklang ist er dabei noch nicht fertig. Der triumphiert hier aber nirgends in tonaler Selbstherrlichkeit, wird auch nicht als ironisches Zitat ausgestellt, sondern behandelt wie ein Fundstück, das der Komponist aufgreift, betrachtet und wieder verwirft. Wie er seine Materialien überhaupt vorsichtig auslotet. Bei der Kargheit, aber auch Virtuosität der Soloklavierstücke fühlt man sich bisweilen an die des alten Franz Liszt erinnert, wenn in "sehn-sucht - Rhapsodie Nr. 1 für Klavier" die Pianistin Lauriane Follonier Triller, Intervalle und Akkordverbindungen wie tastend erprobt, das hohe und das tiefe Register des Klaviers zunächst unverbunden bleiben, als tue sich zwischen ihnen ein Abgrund auf. Dieser Umgang mit dem einzelnen Klang verführt den Hörer zum Dranbleiben, weshalb die Spannung auf der 80-minütigen CD eigentlich nie reißt.

© SZ vom 05.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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