"Hippie" von Paulo Coelho:Der Tourist ist immer der andere

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In "Hippie" erzählt Paulo Coelho von einer Reise, die er 1970 unternommen hat: im "Magic Bus" Richtung Nepal. (Foto: Paulo Coelho privat)
  • In seinem neuen Roman erzählt Paulo Coelho von dem "Hippie", der er selber einmal war.
  • Das Buch handelt von einer Reise, die der Autor so oder so ähnlich im Sommer 1970 unternommen hat - im "Magic Bus", von Amsterdam aus Richtung Nepal.
  • Die Figur des Hippies ist der Ursprung von Coelhos Werk, das sich um spirituelle Sinnsuche dreht, sie wird hier aber auch als Avantgarde des Massentourismus porträtiert.

Von Lothar Müller

Der Bus hat Flügel und sieht aus wie eine lustige Schlange. Auf dem Kühler prangt das Friedenssymbol der Anti-Nuklear-Kampagne, Scheinwerfer und Kühlergrill sind Teil eines lächelnden Gesichts. Sein Ziel steht ihm an der Stirn geschrieben: Kathmandu. Er fährt in die Landkarte hinein, auf der die Stationen bis dahin mit kleinen Sternen markiert sind: Amsterdam, Istanbul, Teheran, Kabul, Delhi. Christina Oiticica hat die Karte für die Innenklappen des Buches "Hippie" gezeichnet, mit dem ihr Mann Paulo Coelho seinen Beitrag zum Jubiläum "Fünfzig Jahre 1968" leistet.

Ins Veteranengemurmel der politischen Akteure haben sich längst Selbstzweifel, Revisionen der Ansichten von einst, manchmal gar Selbstbezichtigungen gemischt. Damit verschont der Weltautor Paulo Coelho seine Leser. Bei ihm erstrahlt die Figur des Hippie noch einmal ungebrochen im Flower-Power-Farbenglanz. Coelho, der 1947 in Rio de Janeiro geboren wurde, malt ihr Bild im Blick auf den Hippie, der er selber einmal war. Vom Konflikt mit seinen bürgerlichen, wohlhabenden Eltern, die ihn zeitweilig in eine psychiatrische Anstalt einweisen ließen, hat er schon in mehreren Büchern erzählt.

1968 war für ihn zunächst das Jahr der Elektroschocks. In dieses Buch hat er unter der Chiffre "1968" eine Episode eingebaut, in der er mit einer älteren Freundin von der Polizei in Brasilien verhaftet und Repressalien ausgesetzt wird, weil beide im Verdacht stehen, mit den Guerillakämpfern um Che Guevara in Bolivien zu tun zu haben, der im Vorjahr erschossen worden war. Der Verdacht erweist sich als ganz und gar unbegründet.

"Sie hatte sich ihr Leben lang ein in Liebe entflammtes Herz gewünscht."

Warum das so ist, davon handelt dieses Buch. Es erzählt von der Reise, die Paulo Coelho so oder so ähnlich im Sommer 1970 unternommen hat. Sie findet im "Magic Bus" statt, der von Amsterdam aus Richtung Nepal aufbricht, mit einer kleinen Reisegesellschaft, die vor allem aus Europäern besteht. Der Autor tritt in der dritten Person auf, was erstens den Vorteil hat, dass der Paulo im Buch nicht alles so machen muss wie er selbst, und zweitens den noch größeren Vorteil, dass er als allwissender Erzähler auch ins Innere der anderen Figuren blicken kann, zumal der Frauen.

Er kann zum Beispiel in die Niederländerin Karla hineinschauen. Sie ist eine wunderschöne Hippie-Frau, emanzipiert und selbstbewusst, aber die Dämonen ihres calvinistischen Elternhauses sind in ihr immer noch lebendig, obwohl sie nacheinander im Hinduismus, Taoismus und Buddhismus und zudem in afrikanischen Kulturen und asiatischen Yogaschulen Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens gesucht hat.

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Wer will, kann dieses Buch als Liebesgeschichte zwischen Paulo und Karla lesen, die sich in Istanbul trennen, als es dem dünnen Brasilianer gelungen ist, Karla mit sich selbst zu versöhnen und damit ein gutes Stück auf dem Weg der Selbstfindung voranzubringen: "Sie wusste bereits, was sie erwartete. Sie wusste es schon, seit sie am Vorabend so wunderbar miteinander geschlafen hatten. Da hätte sie am liebsten geweint, aber sie nahm ihr Schicksal an, als wäre es vorbestimmt. Sie hatte sich ihr Leben lang ein in Liebe entflammtes Herz gewünscht, und der Mann, der in diesem Augenblick in ihr war, hatte ihr dies gegeben."

Es ist kein Zufall, dass sich die Wege von Paulo und Karla in Istanbul trennen und der Roman dort endet, statt, wie es die Innenklappen versprechen, mit Karla und dem "Magic Bus" weiter bis nach Nepal zu reisen. Das Leben nennt der Derwisch eine Reise, und Paolo bleibt in Istanbul, weil dort die Derwische sind und er in ihre spirituelle Schule gehen will. Das Erste, was er bei dem namenlosen Mann lernt, ist, sich einem strengen Imperativ zu unterwerfen: "Lege dein ganzes Wissen ab und schaffe Raum in deiner Seele, die vom Absoluten erfüllt sein wird. Denn das Wissen der Menschen ist Wahnsinn vor Gott."

Die spirituelle Sinnsuche ist das Markenzeichen des Weltautors Paulo Coelho. Der Hippie, den er in diesem Buch feiert, steht am Ursprung seiner literarischen Karriere. Die Reise, die ihn nach Osten führt, findet im Zeichen von Rabindranath Tagore, Paulus von Tarsus, des Lukasevangeliums und des persischen Mystikers Rumi statt. Sie wird von Lobgesängen auf die freie Liebe und die Open-Air-Konzerte, auf Jimi Hendrix, Janis Joplin, Frank Zappa und die Grateful Dead begleitet. Aber obwohl der dünne Brasilianer dem Sex, dem Tanz und der Musik eng verbunden ist, spielen sie nur eine Nebenrolle gegenüber der spirituellen Reise, die auf der Hauptbühne stattfindet, vom Sufismus im Islam, Ignatius von Loyola und östlichen Religionen gewohnt opulent orchestriert.

Es gibt aber noch eine Hinterbühne in diesem Buch, und auf der wird eine vergleichsweise prosaische Geschichte erzählt. Sie handelt davon, dass ja die Erleuchtungssuchenden nicht nur mit der Seele reisen, sondern ihre Körper mitnehmen. Darum ist weder die Bibel noch der Koran noch irgendeine fernöstliche Weisheitslehrer und schon gar nicht die Mao-Bibel ihr wichtigster Begleiter, sondern der Ratgeber "Europe on Five Dollars a Day", verfasst von Arthur Frommer, der tatsächlich so heißt. Er ist Teil der "Unsichtbaren Zeitung", als die Coelho das Nachrichtensystem der Hippies über die günstigsten Reiserouten beschreibt.

Der Hippie wird in diesem Buch als Avantgarde des Massentourismus porträtiert, auch wenn er das nicht weiß und die bis heute grassierende Illusion teilt, der Tourist sei immer der andere: "Sie hatten bereits verschiedene fantastische Orte besucht, wenn auch bei einigen jetzt schon absehbar war, dass sie nicht mehr länger paradiesische Orte bleiben würden. Am Ende würden sie von Horden von Touristen zerstört werden, die nur daran dachten, Souvenirs zu kaufen, und daran, die Schönheit dieser Orte mit dem zu vergleichen, was sie zu Hause hatten."

Der Magic Bus ist ein Vehikel der Läuterung.

Was aber wird aus den fantastischen Orten, wenn sie nicht nur von Touristenhorden, sondern, schlimmer noch, von politischen Unruhen heimgesucht werden? Sie werden dann zu einem Problem für den Hippie. Denn er hat in diesem Buch eine überraschende Ähnlichkeit mit James Bond, der in den Ländern dieser Welt immer nur auf Stippvisite unterwegs ist, wenn auch in offizieller Mission, während der Hippie den Geheimnissen seines Inneren auf der Spur ist. Vom sozialistischen Jugoslawien nimmt er kaum mehr wahr als die Städtenamen. Die Busfahrer, ein Inder und ein Schotte, die ständigen Kontakt mit der Zentrale in Amsterdam halten, schützen ihn vor den Auswirkungen des "Schwarzen September", der mit dem Bürgerkrieg in Jordanien 1970 beginnt.

Eine französische Journalistin will die Hippies des "Magic Bus" in Istanbul interviewen und entwirft eine kleine Genealogie der Figur. Zu ihr gehöre, "an nichts zu glauben, weder an die Rechte noch an die Linke". Das Verhältnis des Hippie zur Politik ist grundsätzlich defensiv. Der Pariser Mai ist in der Reisegesellschaft, die sich nach Nepal aufgemacht hat, gleich doppelt vertreten. Für den ausgestiegenen Manager Jacques, den eine Nahtoderfahrung aus der Bahn geworfen hat, waren die Unruhen am 3. Mai 1968 eine so traumatisierende Erfahrung, dass er anschließend für de Gaulle demonstriert hat. In seiner Tochter Marie wiederum lebt der Geist des Pariser Maoismus, sie ist in geheimer Mission zu den Rebellen in Nepal unterwegs.

Der Magic Bus ist ein Vehikel der Läuterung. Die Maoistin in Marie wird der heilsamen Kur eines euphorischen LSD-Rausches unterworfen, der die politische Selbstgewissheit untergräbt, die Manifeste haben in diesem Buch gegen die Drogen keine Chance. Die guten Drogen, wohlgemerkt. Der dünne Brasilianer Paulo widersteht erfolgreich dem Heroin und schlägt einen Job als Drogenkurier aus. Der Hippie bleibt bis zum Schluss eine Figur des Glücksversprechens, er ist mit Seiner Majestät, dem Ich der Tagträume verwandt. Dass er Teil einer Massenbewegung ist, ficht ihn nicht an. Die Untergeher sind, wie die Touristen, immer die anderen. Der Autor betrachtet sein Leben als Hippie mit Wohlgefallen. Aus der Massenbewegung, deren Teil er war, dürften manche seiner Leser stammen.

© SZ vom 26.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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