Schauspielhaus Hamburg:Schlechter Witz für diese Zeiten

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Auf der Humorpirsch in einem Paralleluniversum: Angelika Richter und Bastian Reiber in Thomas Bernhards "Jagdgesellschaft". (Foto: Matthias Horn)

Herbert Fritsch inszeniert am Deutschen Schauspielhaus Hamburg "Die Jagdgesellschaft" von Thomas Bernhard.

Von Till Briegleb

Vielleicht ist es die falsche Zeit für den Humor von Herbert Fritsch. Es wirkt momentan einfach ein wenig deplatziert bis peinlich, wenn ein überdrehter Hauptdarsteller sich im quäkenden Ton über Opis Geschichten aus Stalingrad lustig macht, während in der Ukraine gerade Städte ihr "Stalingrad" durch Russlands Truppen erleben. Auch wenn seine Bühnenpartnerin kreischend über das Verbluten an der Front lamentiert, als sei das nur die abgeleierte Kernanekdote ihrer in Ritualen erstarrten Ehe, dann will das unter den neuen politischen Umständen nicht wirklich komisch werden.

1974, in der ausklingenden Nachkriegszeit, als Thomas Bernhard seine "Jagdgesellschaft" schrieb und Claus Peymann sie am Burgtheater uraufführte, verstand vermutlich jeder im Publikum diese Szenen zwischen einem schriftstellernden Hausfreund und einem Generalsehepaar als Spott auf die ekelhafte Selbststilisierung alter Nazis. Aber wenn Herbert Fritsch dieses Stück 2022 mit seiner methodischen Geburtshilfe für den Clown im Menschen als groteskes Geplapper am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg inszeniert, dann zieht er dem Stück leider nur das Fell ab.

Denn sein aufgedrehter Humor hysterischer Kindlichkeit, mit dem Fritsch seit gut zehn Jahren dem Theater schelmisch den erwachsenen Ernst austreibt, lebt davon, sich radikal jedem Gegenwartsbezug zu verweigern. Seine zappelnden, giggernden, ungenierten und tölpelhaften Komödiantinnen und Komödianten befinden sich stets auf der Humorpirsch in einem Paralleluniversum frei von sittlichen Ermahnungen.

Im Resonanzraum der aktuellen Ängste und Krisen sind die Figuren misslungene Karikaturen

Doch plötzlich betritt diese ultrabunte Jagdgesellschaft einen neuen Resonanzraum der Ängste, Krisen und allgegenwärtigen Assoziationen von Gewalt, Zerstörung und bitterem Ernst. Und darin wirken die fröhlichen Pelzjäger mit Indianerbemalung, die Figuren aus der chinesischen Oper und der gealterte Harry-Potter-Bösewicht in Felduniform, als die Cosima Wanda Winter die eingeschneite Truppe politischer Intriganten und Tierhatzfreunde kostümiert hat, nur wie misslungene Karikaturen.

Auch Thomas Bernhards zäher, fies insistierender Humor der geduldig wiederholten Andeutungen, mit dem er in dem Stück die letzte Episode eines politischen Wendehalses in einem Wald beschreibt, der komplett von Borkenkäfern zerfressen ist, scheint für das Zahnrad von Herbert Fritschs Bühnenmechanik die falsche Übersetzung zu haben. Das Humortempo des Autors bremst den Spaßeifer des Regisseurs unwillkürlich aus, und das Resultat ist ein wirklich lahmer Abend, bei dem die Figuren alle auf der Stelle treten.

Michael Wittenborn als unpassend sympathischer General, der dauernd stirbt und wiederaufersteht, Angelika Richter, die in ihrer unflexiblen Rolle als dümmliche Gattin die einzigen Lacher erntet, als sie ihre Perlenkette mit dem Hals umherschleudert, und der im nie zündenden Virtuosentum sich abkämpfende "Schriftsteller" Bastian Reiber können die Falle leider nie verlassen, die aus der Verkeilung dreier nicht kompatibler Jagdgeschichten entsteht: Bernhards Verlogenheitspirsch, Fritsch' Humorhetze und Putins Menschenjagd als kaum verscheuchbarer realer Hintergrund eines Stücks, das die bigotte Philosophie militaristischer Lebensweise zum Thema hat. Würde der ehemalige Berufskomödiant Wolodimir Selenskij seine Kriegsansprachen in Napoleonuniform und garniert mit Witzen halten, es könnte kaum absurder wirken.

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