Hella Jongerius in Berlin:Versponnen

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"Materialien sind Geopolitik": In der Ausstellung "Kosmos weben" im Berliner Gropius-Bau untersucht die niederländische Künstlerin Hella Jongerius das Verhältnis von Mensch, Natur und Konsum.

Von Sonja Zekri

Die Frage könnte brennender nicht sein, zumal in diesen Tagen: Wohin mit dem Balkon, wenn es regnet? Die Lösung, ebenso nachhaltig wie formschön: einfach zusammenfalten. Hella Jongerius präsentiert im Berliner Gropius-Bau zwar noch keine voll nutzbaren Klappbalkons, aber immerhin eine Vorstufe. Für ihre Ausstellung "Kosmos weben" hat sie dreidimensionale Strukturen mit Photovoltaik-Streifen oder Solarzellen gewebt, die meist schlaff an der Wand herunterhängen, aber eben auch leuchten, sich bewegen und sich aufspannen können.

Balkone, sagt Jongerius, sind nur der Anfang. Bei einem Rundgang im Gropius-Bau spricht sie von der Automobilindustrie, von Flugzeugen: "Man könnte Skulpturen schaffen, die so viel schöner sind als diese hässlichen Solardächer." Vom Unscheinbaren zum Wundersamen ist es in "Kosmos weben" nur ein Schritt.

Die niederländische Künstlerin und Designerin Jongerius hat lange in der Industrie gearbeitet in der Hoffnung, die Produktion von innen zu verändern. Als sich dies angesichts der Trägheit der Beteiligten und der Prozesse als hoffnungslos erwies, zog sie um, suchte sich kulturelle Plattformen, Museen, den Gropius-Bau. Dort ist im Erdgeschoss ihre Ausstellung zu sehen, während sie im Obergeschoss in ihren Studioräumen an der Beziehung zwischen Menschen und Dingwelt arbeitet.

Für Jongerius sind die Dinge, mit denen wir uns umgeben, "stille Partner"

Diese nämlich, die Objekte, die den Alltag der Menschheit möblieren, sind keine neutralen Gegenstände. Für Jongerius - und Marie Kondo wäre da wohl sehr bei ihr - sind sie "die stillen Partner" in Häusern und Wohnungen. Bislang werden sie unglückseligerweise nach der Logik des Konsums nur dann gefeiert, wenn sie neu und stylisch sind, dabei haben sie so viel mehr zu geben. Wenn sie als Geschenke von einem Menschen zum anderen gelangen beispielsweise, oder indem sie etwas über den Prozess ihrer Fertigung, über Tradition und Kultur erzählen, wenn sie auf ihren Besitzer abstrahlen und zu Trägern von Wahrnehmung und Identität werden, wenn sie verraten, was der Besitzer vielleicht sogar selbst nicht weiß.

Es ist nicht egal, wie ein Objekt hergestellt wird, und es ist schon gar nicht egal, woraus. Den Sand, der für ein anderes Projekt im Lichthof des Gropius-Baus verwendet wurde, hat Jongerius zu ozeanfarbenen Glaskörpern eingeschmolzen, es sind Gefäße, aus denen nie jemand trinken wird, die aber vielleicht anderes, Wichtigeres enthalten. "Materialien sind Geopolitik", sagt Jongerius. Im besten Fall können Objekte heilen.

Besucher der Ausstellung können ein gemeinsames Garn "ertanzen"

Man muss sich einlassen auf diese textile Welt, auf die Knoten, Gespinste und Spindeln. Wer bereits bei Anflügen von Esoterik Verspannungen bekommt, der sollte im Gropius-Bau möglicherweise direkt zum Tüpfel-Universum der japanischen Künstlerin Yayoi Kusama gehen - falls er einen Zeitslot erwischt. Jongerius lädt die Zuschauer ein, mithilfe spezieller Flechtmaschinen ein gemeinsames Garn zu "ertanzen", weil Weben früher eine so gesellige Tätigkeit war - wer Heines schlesische Weber kennt, muss da umdenken. Und zur Beratung über Farben, Formen und kosmische Kreisläufe hat sie Schamanen herangezogen.

Andererseits visualisiert ihre Kunst Themen, die zugleich uralt und hochaktuell sind, und das ist doch erfrischend. Aus blauen, gelben oder rosafarbenen Puscheln, die von der Decke hängen, lässt sie einen Faden entstehen, wie ihn vor ihr schon viele Kulturen in alten Zeiten in Geschichten und Sagen gesponnen haben, ein Faden, der den Menschen mit seiner Lebenszeit, der Erde und Himmel und das ganze Universum verbindet. Jongerius' bunte Woll-Wolken sind aus ehemaligem italienischem Polsterstoff. Die Nornen von heute würden recyclen.

Das Garn, das alles mit allem verbindet: Hella Jongerius, Spaceloom 2 (2021). (Foto: Jongeriuslab)

Die naheliegende Deutung des Webens ist Hella Jongerius allerdings immer ein wenig zu simpel. Dass alles miteinander verflochten und verwoben ist, Altes und Neues, Mensch und Tier und Kosmos, das erscheint ihr eine ziemlich abgegriffene Metapher zu sein. Nur ist sie, das gibt sie zu, deshalb nicht falsch. "Wir bleiben lebendig, weil wir mit allen verbunden sind", sagt sie, wobei der Nutzen dieses Verbundenseins gerade sehr einseitig ist.

Auch früher schon hat Jongerius Tiere auftauchen lassen, aber selten waren sie so wütend wie hier. Wer die Köpfe ihres zähnefletschenden Bären sieht oder des heulenden Gorillas, der ahnt, dass das Treiben des Menschen auf Erden nicht unbeobachtet bleibt, dass die Tiere über ihre Ausbeutung und Vernichtung ein klares Urteil fällen. Erst wenn dem Menschen diese Möglichkeit genommen ist - oder wenn er sie aufgibt -, wenn die Hierarchie von Mensch, Ding und Natur überwunden ist, erst dann ist Heilung möglich. Dafür müsste man den Faden besser früher als später aufnehmen.

Hella Jongerius: Kosmos weben. Gropius-Bau Berlin, bis 15. August.

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