Haydns "Schöpfung" in Nürnberg:Raschelndes Gewürm

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Joana Mallwitz vermag die Länge ihrer Arme und Hände wunderbar schwungvoll und gewaltfrei auszunutzen und weit ins Orchester hinein und zum Chor hinaufzureichen. (Foto: Ludwig Olah/Staatsphilharmonie Nürnberg)

Joseph Haydns "Schöpfung" wird unter der Leitung von Joana Mallwitz in Nürnberg zum strahlenden Ereignis.

Von Harald Eggebrecht

Das Wiener Publikum im alten Burgtheater feierte den Komponisten mit "Papa Haydn"-Rufen. Aber Joseph Haydns Oratorium "Die Schöpfung" hat so gar nichts Gemütlich-Altväterliches an sich, sondern ist ein Stück voll von versammelter, dabei behänder Kraft, kompositorischer Geschmeidigkeit und einem Bekenntnis zum Diesseits, zum Leben hier und jetzt ohne Frömmelei und Weihrauchdunst. Nach den undefinierbaren, ziellos mäandernden düsteren Modulationsnebeln des Chaosbeginns fährt beim Wort "Licht" durch Orchester, Chor und Zuhörer ein so gleißender Fortissimo-Blitzstrahl, dass sein feuriger Glanz alle drei Teile des Werks erleuchtet. "Die Schöpfung" gilt zu Recht als aufklärerisches Stück, als neuartiges Oratorium jenseits des Barock eines Händel. Der Textdichter Baron van Swieten und mit ihm Joseph Haydn wollten die Feier der Schöpfung mit der Erschaffung des Menschen als Zielpunkt, ganz ohne Sündenfall, Erbsünde und Schuld. "Und Gott sah, dass es gut war."

Wenn man das Stück in diesem Sinne groß und weiträumig, farbenreich und intensiv, gefühlvoll, abwechslungsreich in seinen instrumentalen Vielfalt, aber stets in sich beherrscht zum Strahlen bringt wie an diesem Dienstagabend in der Nürnberger Staatsoper durch die dortige Staatsphilharmonie, den Chor des Staatstheaters Nürnberg (Einstudierung Tarmo Vaask), fünf ausdrucksstarke Solisten unter der inspirierenden Leitung von Joana Mallwitz, der Generalmusikdirektorin in Nürnberg, dann glaubt man an das Motto "Neubeginn" nicht nur für diesen Abend, sondern lässt sich unmittelbar von Haydns energischer Zuversicht anstecken.

Vor Konzertbeginn traten Mallwitz und der Staatsintendant Jens-Daniel Herzog auf die Bühne und stießen ein paar sehr begreifliche Seufzer der Erleichterung aus, dass man endlich wieder vor, wenn auch wegen der bekannten bayerischen Corona-Auflagen reichlich reduziertem Publikum spielen könne und dass man auf ein glücklicheres 2022 für Musik, Theater und Kunst hoffe. Außerdem begrüßten Herzog und die Zuhörer die aus der Babypause zurückgekehrte Dirigentin enthusiastisch, die auch gleich etliche Projekte für die nächste Zeit angekündigte, unter anderem die Präsentation der neu gegründeten Jungen Staatsphilharmonie.

Jeder Auftritt der der jungen Maestra Mallwitz gerät zu einer Art Abschied

Dass Mallwitz nurmehr bis zum Ende der Spielzeit 2022/23 in Nürnberg bleibt und dann nach Berlin zum dortigen Konzerthausorchester ziehen wird, macht in Nürnberg schon jetzt jeden Auftritt der jungen Maestra zu einer Art Abschied. Jedenfalls boten Orchester, Chor und die vorzüglichen Solisten - Andromahi Raptis als glitzernder Sopranerzengel Gabriel, Martin Platz als tenorhell tönender Uriel, Jochen Kupfer als kerniger, nie röhrender Bass Raphael, später die sich an der Schöpfung und an sich selbst ergötzenden Samuel Hasselhorn (Adam) und Julia Grüter (Eva) - boten ihr Bestes an frischer Aufmerksamkeit und klanglicher Wachsamkeit, das Joana Mallwitz auch von ihnen forderte. Das geschah jedoch nie herrisch oder gar einschüchternd, sondern stets animierend, ermutigend und auf ein begeisterndes symphonisches Miteinander ausgerichtet.

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Dirigieren kann sich in trockenem Taktieren und Einsatzgeben erschöpfen und klingt dann auch danach, denn die jeweilige Geste ist impulsgebend, sei sie auch schwach, undeutlich oder ungelenk. Joana Mallwitz vermag dagegen die Länge ihrer Arme und Hände wunderbar schwungvoll und gewaltfrei auszunutzen und weit ins Orchester hinein und zum Chor hinaufzureichen, weiß aber auch die Aufmerksamkeit schlagtechnisch filigran ganz organisch auf die kleinen Notenwerte zu lenken und kennt die Deutlichkeit aller dämpfenden Gesten für Piani und Pianissimi. Auffallend, wie sie nie den Fluss ihrer Bewegungen unterbricht oder unmotiviert stocken lässt. Hinzu kommt eine wahrhaft den Musikern zugewandte, "sprechende" Mimik. Solche Fähigkeiten zur musikalischen Kommunikation aus symphonischem Geist beantworteten Orchester, Chor und Solisten in Nürnberg mit fröhlicher Hingabe und im besten Sinne kontrollierter Spielfreude.

Haydns Oratorium verlangt ja nicht nur Größe, Klangmacht und C-Dur-Glanz, sondern einen besonderen klangerzählerischen Charakterreichtum der Instrumentalfarben. Manche meinen das als billige Tonmalerei abtun zu müssen, wenn die "Walfische" sich im tiefsten Kontrabass rühren, die Nachtigall schlägt oder das Geraschel des Gewürms erklingt. Doch bei Haydn herrscht nicht des Gedankens Blässe, sondern die lebendige Gestaltenvielfalt der erschaffenen Welt, die heute vom unmittelbaren Verschwinden bedroht ist. Insofern wirken so gelungene Aufführungen der "Schöpfung" wie hier in Nürnberg immer auch als Appell, aufs Neue um ihren Erhalt zu kämpfen.

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