Zum Tod von Gustav Peichl:Und zwischendurch den Zusammenhang der Welt verarbeitet

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Peichl war kein Zufriedener, Angekommener. Er war eigentlich immer unterwegs. (Foto: dpa)

Der Architekt Gustav Peichl ist gestorben. Als "Ironimus" zeichnete er viele Jahrzehnte lang Karikaturen, auch für die Süddeutsche Zeitung.

Von Andrian Kreye und Gerhard Matzig

Gustav Peichl ist gestorben, der Architekt, der als Karikaturist mit dem Künstlernamen Ironimus der Süddeutschen Zeitung über Jahrzehnte verbunden war. Nicht nur in seiner Heimat Österreich, sondern auch in Deutschland war er ein Titan, der die Zeitgeschichte mit seinen Gebäuden mit den großen Gesten und seinen Zeichnungen mit dem feinen Strich begleitete.

Er gehörte zu jener Generation Architekten, für die ein Gebäude so viel mehr war, als ein Einzelwerk oder gar ein Auftrag. Und der als Karikaturist so gut wie jeden Tag seine Beobachtungen mit dem Zeichenstift auf eine Pointe zuspitzen konnte, die den großen Zusammenhang der Welt und der Politik auf einen Blick zusammenfassen konnte. Zur Eröffnung einer Ausstellung mit seinen Karikaturen Ende September im Gulbransson-Museum in Tegernsee wollte er eigentlich noch selbst kommen. Doch dann eröffnete sein Sohn Markus die Schau und die Präsidentin der Salzburger Festspiele Helga Rabl-Stadler sagte in ihrer Rede, erst wer von ihm gezeichnet wurde, konnte sich in der österreichischen und deutschen Politik sicher sein, dass er was bedeutete.

Gezeichnet hat er, seit er 17 war. 1954 veröffentlichte er seine erste Karikatur in Die Presse. Zehn Jahre später begann er auch für die Süddeutsche Zeitung zu arbeiten. Über zehntausend Blätter sichtete Markus Peichl für die Ausstellung (die noch bis zum Januar zu sehen ist) und kuratierte eine Ausstellung, die das Feinsinnige aus dem Werk herausarbeitete. Da sieht man nicht nur die scharfen Beobachtungen aus dem Politikbetrieb, sondern auch die zarten Seitenblicke auf den Alltag und das Großstadtleben, die mit seinem Stift eine bittersüße Vergeblichkeit bekamen, deren Bewohner sich an einer Moderne abmühten, die er mit seinen Entwürfen als Architekt so souverän im Griff hatte.

Als Person konnte er einen ganzen Raum für sich einnehmen, egal, ob er bei einem Staatsakt auftrat oder bei einem Familienfest in einem Heurigen von Wien. Und jeder wusste, dass sich hinter seinem Charme und seiner Lässigkeit eine Form natürlicher Macht und Größe verbarg, die sich aus einem Werk so viel nachhaltiger ergeben kann als aus einer schnöden Position. Alte Schule, hätte man sagen können, wäre er nicht ein so profilierter Vertreter der Moderne gewesen.

"Leicht ist schwer was", diesen Satz von Karl Valentin mochte er sehr

In einem Interview, das in den Siebzigerjahren geführt wurde, wird Gustav Peichl so beschrieben: "Er ist um sechs Uhr früh 'springlebendig', geht schwimmen oder spazieren und hat um acht Uhr das Wesentlichste für den Tag hinter sich gebracht; Ideen geboren, Einteilungen getroffen und zehn Zeitungen gelesen, deren politischen Inhalt er dann 'zwischendurch' verarbeitet, um ihn mittags, zwischen 12 Uhr 30 und 1 Uhr, in die Tageskarikatur umzusetzen." Daher stellt sich die Frage: Wann um Himmels willen hat sich der erfolgreiche Karikaturist, der aber ja auch ein erfolgreicher Architekt war, um seine vielen Bauten und Projekte gekümmert? War dem Bauen nur eine Tageshälfte gewidmet? Wer Peichls auch im übertragenen Sinn großes Werk kennt, von den ORF-Landesstudios bis zur Kunst- und Ausstellungshalle in Bonn, kann das kaum glauben.

"Leicht ist schwer was": Diesen Satz, den Peichl sehr mochte (gerade weil er nicht von ihm, sondern vom wesensverwandt tiefgründigen Karl Valentin stammt), hat er auch auf seine eigene Baukunst angewendet, die meist so irritierend leicht und unangestrengt zeitlos wirkt, als sei sie fast schon von nebensächlicher Selbstverständlichkeit und logischer Formsprache. Wie schwer aber genau diese Selbstverständlichkeit erkämpft war, in Planung und Ausführung, ahnt man, wenn man weiß, dass der Architekt Peichl tatsächlich eher rund um die Uhr Architekt war: Mag er auch das Wesentlichste bis zur Mittagszeit erledigt haben - Architektur war für ihn, den der österreichische Kritiker Dietmar Steiner einmal als "genialen Diagnostiker der Gesellschaft" und "als Fetischist der architektonischen Qualität" beschrieben hat, ein 24-Stunden-am-Tag-Beruf. Wesentlichst sozusagen rund um die Uhr.

Einer der vielen bedeutenden Bauten von Gustav Peichl: Die Bundeskunsthalle in Bonn, 1992 eröffnet. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Als man den Architekten traf, vor Jahren in Wien im "Sacher", war er jedenfalls schon am frühen Morgen damit beschäftigt, Architektonisches auf die Serviette zu bannen. Details, die für ihn so wichtig waren wie das Ganze. Am Bau gab es für Peichl nichts Unwesentliches. Und wenn er heute als einer der wichtigsten Architekten Österreichs gilt, in einer Reihe mit Kurrent, Lackner und Spalt, mit Holzbauer, Hollein oder Holzmeister, mit Prix, mit Rainer oder Auböck, die für ihn maßgebliche Schrittmacher der Moderne und Lehrmeister waren, dann hat das zwar auch mit dem Fetisch der Qualität zu tun. Mit dem Ringen um Form und Fügung vor dem Hintergrund enormer Humanität. Aber Peichls Architektur ist allein damit nicht zu erklären. Er war auch seherisch begabt.

Die geschickt in die Erde eingegrabene Erdfunkstelle Aflenz in der Steiermark (1976 bis 1979), mit der Peichl auch international bekannt wurde, war beispielsweise schon damals eine Symbiose von Architektur, Technik und Natur. Der grasbewachsene Hügel, der von der gewaltigen Anlage kündet, war lange vor der heutigen Hinwendung zu einer ostentativ grünen Architektur von visionärer Kraft. Die Klassische Moderne, auf die sich Peichls Werk so gekonnt bezieht, war für ihn auch immer etwas, was zu erneuern, zu vollenden ist. Peichl war kein Zufriedener, Angekommener. Er war eigentlich immer unterwegs.

Daheim in Wien hat er bis zum Schluss gezeichnet und entworfen. Selbst als ihm sein Alter irgendwann doch zu schaffen machte, war ihm das "Springlebendige", das sie ihm vor Jahren nachsagten, noch ureigenste Natur. Die Rolle des Titanen hat er sich jedenfalls nie nehmen lassen. Am Sonntag ist er in seinem Haus in Wien-Grinzing gestorben, wo er seit 1962 lebte. Er wurde 91 Jahre alt.

© SZ vom 19.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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