Großformat:Wahrer Stiel und echte Blüte

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Selten leuchten Blumen so kräftig wie in den Bildern der Künstlerin Katinka Matson. Sie verwendet Flachbettscanner und vermeidet so die Unschärfen, mit denen Kameras die Wirklichkeit abbilden.

Von Andrian Kreye

Zufälle sind eigentlich Schlüsselmomente der Wissenschaftsgeschichte (die Entdeckung der Schwerkraft, Penicillin, Röntgenstrahlen, Teflonpfannen). In der Kunst sind sie meist bewusst herbeigeführt (Jackson Pollock, Yayoi Kusama, John Cage). Aber weil die New Yorkerin Katinka Matson an der Grenze zwischen Kunst und Wissenschaft arbeitet, scheint es nur konsequent, dass ihre Arbeit mit einem solchen glücklichen Malheur begann. Das war vor rund 15 Jahren, als sie in ihrem Büro ein paar Blumen auf einen Flachbettscanner legte und auf den Startknopf drückte. Die Blumen waren zerquetscht. Das Ergebnis war trotzdem verblüffend. Weil Scanner Lichtpunkte nicht durch eine Linse aufnehmen wie Kameras, sondern sie Pixel für Pixel abtasten, hatten die Bilder eine Schärfe und Leuchtkraft, die sie bis dahin noch nie gesehen hatte. Vor allem die extreme Klarheit der Bilder war einzigartig. Was an den Sehgewohnheiten der Moderne liegt, weil man sich längst damit abgefunden hat, dass zu gedruckter oder gefilmter Wirklichkeit die Verzerrungen und Unschärfen von Kameraobjektiven gehören, die man längst nicht mehr wahrnimmt. Der Wissenschaftshistoriker George Dyson beschrieb den Effekt: "Diese Bilder kommen dem natürlichen Sehvermögen sehr viel näher als jede Kamera, weil sie Schicht für Schicht die visuellen Informationen aufnehmen, die auch das menschliche Auge verarbeitet. Und das macht es so verblüffend."

Fünf Jahre lang experimentierte Katinka Matson, bis sie Blumen unbeschädigt vor schwarzem Hintergrund aufnehmen konnte, der die Blüten noch stärker zum Leuchten brachte. Und bis sie herausfand, dass die Bilder am stärksten wirken, wenn sie sie als Irisprints auf meterhohe Leinwände aus Aquarellpapier ausdruckte. Der Hyperrealismus erinnert dann auch eher an die botanischen Illustrationen, die Maria Sibylla Merian im 18. Jahrhundert anfertigte. Die Ästhetik entsteht aus dem wissenschaftlichen Blick und der präzisen Technik, weniger aus dem kreativen Empfinden der Künstlerin. Der Bildbandverlag Phaidon brachte vor einiger Zeit das Standardwerk "Plants" heraus (das in Deutschland im vergangenen Sommer unter dem Titel "Flora: 3000 Jahre Pflanzendarstellung in der Kunst" herauskam). Da stehen Katinka Matsons Scannerbilder am Ende einer kunstgeschichtlichen Linie, die gegenüber der Natur eine Art Werktreue entwickelte, die es höchstens wagte, die eigenen ästhetischen Vorstellungen an Natürliches heranzutragen, anstatt es ihnen unterzuordnen.

Vor ein paar Wochen eröffnete Katinka Matson in Hollywood eine Ausstellung mit ihrer neuen Serie "White Flowers" in den Räumen des Floristen Eric Buterbaugh. Der ist wie die meisten Besten ihres Feldes in Hollywood natürlich nicht nur ein Blumenhändler, sondern stattet neben den Häusern von Stars wie Demi Moore, Madonna und Paul McCartney auch Feiern der königlichen Familie von England aus. Bei der Vernissage waren dann allerdings fast mehr Wissenschaftler auf der Party als Künstler und Stars. Was auch damit zu tun hat, dass Katinka Matson im Hauptberuf Agentin für Wissenschaftsliteratur und Mitbegründerin des Wissenschaftdebattenforums Edge.org ist. Zu dessen Zirkel gehört auch Ray Kurzweil, der den Flachbettscanner erfunden hat. Reiner Zufall.

© SZ vom 31.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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