Großformat:Synästhetik

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Der Künstler Pippo Lionni malt nach Gehör, indem er die Musik tanzend und mithilfe eines Spachtels zu Papier, Malerei und Raum verdichtet. Diese Sessions nennt er "Actionreaction".

Von Gerhard Matzig

Erst ist da nur ein kleines Kratzen, Schaben oder Rascheln zu hören. Wie von einem scheuen Tier, das sich ins trockene Unterholz duckt. Es ist aber der Sound des leeren Papiers. Der amerikanische Künstler Pippo Lionni kniet darauf. Seine Hand fährt hierhin und dorthin. Er tastet, glättet und prüft. Als müsse er die Leere erst vollkommen machen. Als müsse er sich vergewissern, dass das hier, worauf er kniet, sein Fundament, das reine Nichts ist.

Doch ist sein Knien und Tasten, das Schauen und Hineinhorchen im Grunde auch schon alles - nämlich der Auftakt zu einer Kunst, in der sich Musik, Tanz und Malerei zu einer furiosen Sinfonie des Raumes verdichten. Da setzt auch schon die Musik ein, zaghaft erst, doch bald rollen die Töne heran wie Brandung. Am Synthesizer sitzt Sergio Corbini (oben rechts im ersten Bild). Daneben bearbeitet Stefano Franceschini das Saxofon. Und Pippo Lionni setzt mit einem Spachtel das Gehörte direkt auf der Leinwand um. Der Ton macht nicht die Musik, der Ton macht das Bild. Und Pippo Lionni tanzt und kreist und kniet sich hinein. Dazu benutzt er nur unbunte Farben, also Schwarz und Weiß. Nie würde er sie eintauschen gegen Gelb, Rot oder Blau, weil die sich meist zu wichtig nehmen.

Wie es aussieht, hat Pippo Lionni nach Jahren der Suche als Künstler, Designer und Autor zu seinem Ausdruck gefunden: Der Tanz ist jetzt ein Schlagzeug, das Schlagzeug ist ein Spachtel, der Spachtel ist Farbe, die Farbe ist Form - und alles zusammen ist eine fulminante synästhetische Erfahrung, an deren Ende Kunstwerke von vibrierender, suggestiv sich entladender und zugleich stauender Energie entstehen, die immer als Hommage an den allumfassenden Raum zu verstehen sind. Pippo Lionni ist ein Meister der Entgrenzung, der sich zugleich gefunden hat.

Das war kein leichter Weg für den Enkel des vor allem durch seine Kinderbücher ("Frederick", die Feldmaus) berühmt gewordenen Leo Lionni, der 1999 auf seinem Landgut im Chianti in der Toskana gestorben ist. Heute dient ein kleiner Anbau am Rande des imposanten Gutes Pippo Lionni als Studio. Hier entstehen Raum-, Klang- und Malimpressionen, die sehr weit entfernt sind vom Erbe Fredericks. Nur ganz am Anfang, wenn das Papier noch weiß ist und Pippo Lionni sich als Instrument seiner selbst stimmt, dann meint man manchmal ein kleines Mäuschen über das Papier huschen zu hören.

© SZ vom 27.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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